«JOACHIM HAT SICH MIT DER WEISHEIT GOTTES VERMÄHLT,

DIE EINGESCHLOSSEN WAR IM HERZEN DER GERECHTEN FRAU»

Kap.4

Jesus sagt:

«Die Gerechten sind immer weise, denn sie sind Freunde Gottes, leben in seiner Gemeinschaft und werden von ihm belehrt; von ihm, der die unendliche Weisheit ist. Meine Großeltern waren gerecht und besaßen daher die Weisheit. Sie konnten in Wahrheit sagen, wie es im Buch steht, welches das Lob der Weisheit singt: "Ich habe sie geliebt und gesucht von meiner frühesten Jugend an und habe beschlossen, sie mir zur Braut zu nehmen." (Weish 8,2)

Anna vom Stamm Arons war die starke Frau, von der unser Vorfahr spricht (Spr 31,10-31), und Joachim vom Stamme des Königs David hat nicht so sehr Anmut und Reichtum gesucht als vielmehr die Tugend. Anna besaß eine große Tugend. Ja, alle Tugenden waren in ihr vereint, wie ein duftender Blumenstrauß, um etwas einziges, Schönes zu bilden: die Tugendhaftigkeit. Eine königliche Tugend, würdig, vor dem Thron Gottes zu stehen.

Joachim hatte sich daher zweimal mit der Weisheit vermählt, "indem er sie liebte mehr als jede andere". Er hat sich mit er Weisheit Gottes vermählt, die eingeschlossen war im Herzen der gerechten Frau. Anna, die Tochter Arons, hatte nichts anderes gewollt, als ihr Leben mit einem gerechten Mann zu teilen, in der Überzeugung, daß die Freude der Familie in der Rechtschaffenheit besteht. Und um ein Sinnbild der "starken Frau" zu sein, fehlte ihr nur die Krone der Kinder, die der Ruhm der verheirateten Frau und die Rechtfertigung der Vermählung ist, von der Salomon spricht (Spr 17,6). Auch zu ihrem Glück fehlten ihr nur diese Kinder, die Blüten des Baumes, der zu einem einzigen geworden ist mit seinem Nachbarbaum und von ihm den Reichtum jener neuen Früchte empfangen hat, in denen sich die Tugenden beider zu einer einzigen verbinden; denn von seiten des Gatten mußte sie niemals eine Enttäuschung erleben.

Da sie nun alterte und seit vielen Jahren Joachims Gattin war, blieb sie für ihn dennoch immer "die Braut seiner Jugend, seine Freude, das geliebte Reh, die schlanke Gazelle" (Spr 5,18-19), deren Liebkosungen jedes Mal den Zauber des ersten Vermählungsabends hatten und voller Zärtlichkeit seine Liebe entzückten, indem sie ihn frisch erhielten wie eine Blume, die der Tau benetzt, und glühend wie das Feuer, das immer von neuen genährt wird. In ihrer Betrübnis ob der Kinderlosigkeit richteten sie aneinander Worte des Trostes, in Gedanken und in den schweren Augenblicken. Die Stunde kam, und die ewige Weisheit, die sie im Leben unterwiesen hatte, erleuchtete sie nun in den nächtlichen Träumen. So erfuhren sie, daß der Morgenstern der Herrlichkeit aus ihnen hervorgehen sollte, nämlich die Heilige Maria, meine Mutter.

Wenn sie auch in ihrer Demut nicht daran dachten, so zitterten doch ihre hoffnungsvollen Herzen beim ersten Schall der göttlichen Verheißung. Schon liegt Gewißheit in den Worten Joachims: "Hoffe, hoffe... wir werden Gott besiegen durch unsere treue Liebe."

Sie wünschten sich einen Sohn: sie erhielten die Mutter des Herrn. Die Worte des Buches der Weisheit scheinen für sie geschrieben worden zu sein: "Durch sie werde ich Ruhm ernten vor dem Volk... durch sie werde ich Unsterblichkeit erlangen und hinterlassen ewiges Gedenken meiner bei jenen, die nach mir kommen werden" (Weish 8,13). Um all das zu erlangen, mußten sie aber zu Königen einer wahren und dauerhaften Tugend werden, die kein Ereignis verletzen kann. Tugend des Glaubens, Tugend der Liebe, Tugend der Hoffnung, Tugend der Keuschheit.

Die Keuschheit der Gatten! Sie besaßen sie, denn um keusch zu sein, bedarf es nicht der Jungfernschaft. Auch das keusche Brautgemach hat seinen Schutzengel, der für eine gute Nachkommenschaft sorgt, für die die Tugend der Eltern eine Richtlinie im Leben bildet.

Was ist aber aus ihr geworden? Heute wünscht man weder Kinder noch Keuschheit. Daher sage ich, die Liebe und das Brautgemach sind entweiht worden.»

 

 

 

 

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