Jesus erscheint den Jüngern von Emmaus.
Zwei Männer mittleren Alters
schreiten rasch auf einer Bergstraße dahin. Sie haben Jerusalem im Rücken,
dessen Anhöhen immer mehr hinter anderen verschwinden, die wie Wellen aus
Hügeln und Tälern aufeinander folgen.
Sie unterhalten sich, und der
Ältere sagt zum anderen, der höchstens fünfunddreißig Jahre alt ist: «Glaube
mir, es ist besser gewesen, so zu handeln. Ich habe eine Familie, und auch du
hast eine. Der Tempel scherzt nicht. Er will wirklich allem ein Ende machen. Zu
Recht? Zu Unrecht? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß sie diese Geschichte
ein für allemal beenden wollen.»
«Dieses Verbrechen, Simon. Nenne es
nur beim rechten Namen, denn es war ein Verbrechen.»
«Je nachdem, wie man es sieht. Uns
bringt die Liebe gegen das Synedrium in Wallung. Aber vielleicht... Wer weiß.»
«Nein. Die Liebe erleuchtet. Sie
läßt keinen Irrtum zu.»
«Auch das Synedrium, auch die
Priester und die Vorsteher lieben. Sie lieben Jahwe, ihn, den ganz Israel
geliebt hat, seit der Bund zwischen Gott und den Patriarchen geschlossen wurde.
Also ist auch für sie die Liebe Licht und führt nicht zum Irrtum!»
«Ihre Liebe gilt nicht dem Herrn. Ja,
Israel hat seit Jahrhunderten diesen Glauben. Aber sage mir, kannst du
behaupten, daß das noch Glaube ist, was uns die Tempelvorsteher, die Pharisäer,
die Schriftgelehrten und die Priester übermitteln? Du hast es doch gesehen. Mit
dem dem Herrn geweihten Gold – man wußte es schon oder hat zumindest den
Verdacht gehabt, daß es geschehen würde – mit dem dem Herrn geheiligten Gold
haben sie den Verräter und jetzt die Wachen bezahlt; ersteren, damit er
Christus verrät, die anderen, damit sie lügen. Oh, ich kann nicht verstehen,
warum die ewige Macht sich damit begnügt hat, die Mauern einstürzen zu lassen
und den Vorhang zu zerreißen. Ich sage dir, ich hätte gewünscht, daß die neuen
Philister unter den Trümmern begraben würden. Alle!»
«Kleophas, das wäre Rache!»
«Ja, das wäre Rache. Nehmen wir
an, er sei nur ein Prophet gewesen, hatten sie dann das Recht, einen
Unschuldigen zu töten? Denn er war unschuldig! Hast du vielleicht einmal
gesehen, daß er eines der Verbrechen begangen hat, deren man ihn beschuldigte,
um ihn töten zu können?»
«Nein, kein einziges. Aber einen
Fehler hat er begangen.»
«Welchen, Simon?»
«Den Fehler, daß er vom Kreuz
herab nicht seine Macht ausgeübt hat, um unseren Glauben zu stärken und die
ungläubigen Gottesschänder zu bestrafen. Er hätte die Herausforderung annehmen
und vom Kreuz herabsteigen müssen!»
«Er hat mehr getan: Er ist
auferstanden!»
«Ist das auch wahr? Auferstanden,
aber wie? Nur im Geist oder mit Leib und Seele?»
«Die Seele ist doch ewig! Sie
braucht nicht aufzuerstehen!» ruft Kleophas aus.
«Das weiß ich selbst. Ich wollte
sagen, ob er nur in seiner göttlichen Natur, die über jede menschliche
Nachstellung erhaben ist, auferstanden ist. Denn eben noch haben die Menschen
seine Seele in furchtbare Angst versetzt. Hast du nicht gehört? Markus hat
gesagt, daß in Gethsemane, wo er an einem Fels gebetet hat, alles voll Blut
ist. Und Johannes, der mit Markus gesprochen hat, hat ihm gesagt: "Laß
niemanden diesen Ort betreten, denn es ist Blut, das der Gottmensch geschwitzt
hat." Wenn er vor der Marter Blut geschwitzt hat, dann muß er furchtbare
Angst vor ihr gehabt haben.»
«Unser armer Meister... !» Sie
schweigen betrübt.
Jesus gesellt sich zu ihnen und
fragt: «Von wem redet ihr? In dieser Stille habe ich einige eurer Worte gehört.
Wer ist getötet worden?» Jesus ist verborgen unter dem Äußeren eines armen,
eiligen Wanderers.
Die beiden erkennen ihn nicht.
«Bist du hier fremd, Mann? Hast du
dich nicht in Jerusalem aufgehalten? Dein verstaubtes Gewand und die
abgenützten Sandalen lassen auf einen unermüdlichen Pilger schließen.»
«Das bin ich. Ich komme von sehr
weit her ...»
«Dann wirst du müde sein. Hast du
noch einen weiten Weg?»
«Einen sehr weiten. Er ist noch
länger als der, den ich bereits zurückgelegt habe.»
«Hast du Geschäfte zu erledigen?
Begibst du dich auf die Märkte?»
«Ich muß eine riesige Anzahl
Herden für den mächtigsten aller Herren erwerben. Die ganze Welt muß ich
durchwandern, um Schafe und Lämmer auszuwählen, und ich muß auch zu den wilden
Herden gehen, die, wenn sie erst einmal gezähmt sind, besser sein werden als
jene, die jetzt nicht wild sind.»
«Schwierige Arbeit. Und du bist
weitergegangen und hast dich nicht in Jerusalem aufgehalten?»
«Weshalb fragt ihr dies?»
«Weil du anscheinend der einzige
bist, der nicht weiß, was in diesen Tagen geschehen ist.»
«Was ist denn geschehen?»
«Du kommst von weit her und weißt
es vielleicht deshalb nicht. Doch dein Akzent ist galiläisch. Darum müßtest du,
wenn du beschnitten bist, eigentlich wissen, selbst wenn du in den Diensten
eines fremden Königs stehst oder der Sohn ausgewanderter Galiläer bist, daß vor
drei Jahren in unserem Vaterland ein großer Prophet namens Jesus von Nazareth
aufgestanden ist, mächtig in Worten und Werken vor Gott und den Menschen, der
predigend durch das ganze Land gezogen ist. Er nannte sich den Messias. Seine
Worte und Werke waren wirklich die des Sohnes Gottes, wie er sich nannte. Ja,
wirklich des Sohnes Gottes. Es kam alles vom Himmel... Nun weißt du, warum...
Aber bist du beschnitten?»
«Erstgeborener bin ich und dem
Herrn heilig.»
«Dann kennst du unsere Religion?»
«Kein Wort ist mir unbekannt. Ich
kenne die Vorschriften und die Bräuche. Die Halacha, der Midrasch und die
Haggada sind mir geläufig wie die Elemente Luft, Wasser, Feuer und Licht, die
ersten Dinge, nach denen Verstand, Instinkt und Bedürfnis des Menschen
verlangen, wenn er den mütterlichen Schoß verlassen hat.»
«Dann weißt du also, daß Israel
ein Messias verheißen war, der als mächtiger König Israel vereinigen würde. So
ist es jedoch nicht gewesen ...»
«Wie dann?»
«Er strebte nicht nach irdischer
Macht, sondern nannte sich König eines ewigen und geistigen Reiches. Er hat
Israel nicht geeint, sondern gespalten, denn nun ist es geteilt in jene, die an
ihn glauben, und jene, die ihn einen Übeltäter nennen. Er hatte wirklich nicht
das Zeug zum König, denn er wollte nur Sanftmut und Verzeihung. Und wie soll
man mit solchen Waffen unterwerfen und siegen... ?»
«Und dann?»
«Nun, dann haben die Hohenpriester
und die Ältesten des Volkes Israel ihn gefangengenommen und zum Tod
verurteilt... wenngleich sie ihn in Wahrheit nicht begangener Verbrechen
beschuldigt haben. Seine einzige Schuld war, zu gut und zu streng gewesen zu
sein...»
«Wie konnte er das eine und das
andere sein?»
«Er konnte es, denn er war zu
streng, wenn er den Vorstehern Israels die Wahrheit sagte, und zu gut, um sie
durch ein Wunder zu vernichten und seine ungerechten Feinde zu zerschmettern.»
«War er so streng wie der Täufer
?»
«Nun... das würde ich nicht sagen.
Sein harter Tadel galt, besonders in letzter Zeit, den Schriftgelehrten und
Pharisäern, und er drohte denen vom Tempel als vom Zorn Gottes Gezeichneten.
Aber wenn ein Sünder sich bekehrte und er sah, daß dieser wahre Reue im Herzen
hatte – denn der Nazarener konnte in den Herzen besser lesen als die
Schriftgelehrten in ihren Texten – dann war er gütiger als eine Mutter.»
«Und Rom hat erlaubt, daß ein
Unschuldiger getötet wurde?»
«Pilatus hat ihn verurteilt... Aber er wollte nicht und nannte ihn einen Gerechten. Doch man drohte ihm, ihn beim Caesar anzuklagen, und er bekam Angst. Also wurde er zum Tod am Kreuz verurteilt und mußte sterben. Und dieser Tod, zusammen mit der Angst vor den Synedristen, hat uns sehr entmutigt. Denn ich bin Kleophas, der Sohn des Kleophas, und dieser ist Simon. Wir sind beide aus Emmaus und verwandt, denn ich bin der Mann seiner ältesten Tochter, und wir waren Jünger des Propheten.»
«Und nun seid ihr es nicht mehr?»
«Wir hatten gehofft, daß er es
sei, der Israel befreien würde, und auch, daß er seine Worte durch ein Wunder
bestätigen würde. Dagegen ...»
«Was hat er denn gesagt?»
«Wir haben es dir schon gesagt:
"Ich bin in das Reich Davids gekommen. Ich bin der König des
Friedens" und so weiter. Er sagte auch: "Kommt zum Reich", doch
dann hat er uns das Reich nicht gegeben. Und er sagte: "Am dritten Tage
werde ich auferstehen." Nun ist heute der dritte Tag, seit er gestorben
ist. Vielmehr, er ist schon vorüber, denn die neunte Stunde ist vergangen, und
er ist nicht auferstanden. Einige Frauen und einige Wachen behaupten zwar, er
sei auferstanden. Aber wir haben ihn nicht gesehen. Und nun sagen die Wachen,
sie hätten dies nur erfunden, um den Diebstahl des Leichnams durch die Jünger
des Nazareners zu verheimlichen. Ausgerechnet die Jünger... ! Wir haben ihn
alle aus Angst im Stich gelassen, als er noch am Leben war... und wir werden
ihn gewiß nicht jetzt gestohlen haben, da er tot ist. Und die Frauen... Wer
glaubt schon den Frauen! Wir sprachen gerade darüber. Und wollten gerne wissen,
ob er gemeint hat, daß nur sein nun wieder göttlich gewordener Geist aufersteht
oder auch das Fleisch. Die Frauen behaupten noch, daß Engel – denn sie wollen
auch Engel nach dem Erdbeben gesehen haben, und es ist möglich, denn schon am
Freitag sind die Gerechten außerhalb ihrer Gräber erschienen – sie behaupten,
Engel hätten ihnen gesagt, er sei gleich einem, der nie gestorben ist. Und so
schienen ihn die Frauen auch tatsächlich gesehen zu haben. Doch zwei von uns,
zwei Oberhäupter, die zum Grab gegangen sind, haben dieses zwar leer gefunden,
wie die Frauen gesagt hatten, aber ihn selbst haben sie weder dort noch
anderswo gesehen. Wir sind sehr traurig, denn wir wissen nicht, was wir nun
denken sollen.»
«Oh, wie seid ihr doch töricht und
von schwerfälligem Geist! Und wie lange braucht ihr, um an die Worte der
Propheten zu glauben. Stand nicht alles schon geschrieben? Israel hat den
Irrtum begangen, das Königtum Christi falsch auszulegen. Daher hat man ihm
nicht geglaubt. Daher hat man ihn gefürchtet. Und daher habt ihr nun Zweifel.
Oben und unten, im Tempel und in den Dörfern, überall erwartete man einen König
im menschlichen Sinn. Aber die Wiedererrichtung des Reiches Israel war im
Gedanken Gottes nicht in Zeit, Raum und Mittel begrenzt wie bei euch.
Nicht in der Zeit: Jedes Königtum,
auch das mächtigste, ist nicht ewig. Erinnert euch an die mächtigen Pharaonen,
die die Hebräer zur Zeit des Moses unterdrückten. Wie viele Dynastien sind
aufeinander gefolgt, und von ihnen allen sind nur entseelte Mumien im Innern
geheimnisvoller Gräber geblieben! Und eine Erinnerung, wenn überhaupt, ist
geblieben an ihre Macht, die eine Stunde oder noch weniger gewährt hat, wenn
wir diese Jahrhunderte mit der Ewigkeit vergleichen. Dieses Reich aber ist
ewig.
Nicht im Raum: Es wurde genannt: Reich
Israel; denn aus Israel ist der Stamm des Menschengeschlechtes hervorgegangen,
in Israel liegt sozusagen der Same Gottes, und wenn man Israel sagt, so
bedeutet dies: das Reich der von Gott Erschaffenen. Aber das Reich des Königs
und Messias beschränkt sich nicht auf den kleinen Raum von Palästina, sondern
erstreckt sich von Norden nach Süden, von Osten nach Westen, überall dorthin,
wo ein Wesen ist, das eine Seele in seinem Fleisch besitzt, also wo ein Mensch
ist. Wie hätte einer allein alle die Völker, die einander feindlich gesinnt
sind, vereinigen und ein einziges Reich bilden können, ohne Ströme von Blut zu
vergießen und alle mit Hilfe von Bewaffneten zu unterwerfen und grausam zu
unterdrücken? Und wie hätte er dann der König des Friedens sein können, von dem
die Propheten sprechen?
Nicht in dem Mittel: Des Menschen
Mittel, habe ich gesagt, ist die Unterdrückung. Das übernatürliche Mittel ist
die Liebe. Ersteres ist immer begrenzt, denn die Völker stehen gegen die
Unterdrücker auf; das zweite ist unbegrenzt, denn die Liebe wird geliebt oder,
wenn sie nicht geliebt wird, wird sie verspottet. Da sie jedoch etwas Geistiges
ist, kann sie niemals direkt angegriffen werden. Und Gott, der Unendliche, will
Mittel anwenden, die so sind wie er. Er will, was nicht endlich ist, weil es
ewig ist: den Geist; das, was des Geistes ist; das, was zum Geist führt. Dies
ist der Irrtum gewesen: daß man sich eine messianische Idee zurechtgelegt hat,
die falsch war, was Mittel und Form betrifft.
Welches ist das höchste Königtum?
Das Königtum Gottes, nicht wahr? Und dieser Bewunderungswürdige, dieser
Emmanuel, dieser Heilige, dieser erhabene Sproß, dieser Starke, dieser Vater
künftiger Zeiten, dieser Friedensfürst, dieser Gott gleich jenem, von dem er
kommt – denn so steht es geschrieben, und dies alles ist der Messias – wird
sein Königtum nicht gleich dem Königtum dessen sein, der ihn gezeugt hat? Ja,
so wird es sein. Ein ganz geistiges und ewiges Königtum, unbefleckt von Raub
und Blut, das keinen Verrat und keine Gewalt kennt. Sein Königtum! Das
Königtum, das die ewige Güte auch den armen Menschen gewährt, um seinem Wort
Ehre und Freude zu schenken.
Hat nicht David schon gesagt, daß
diesem mächtigen König alles als Schemel zu Füßen liegen wird? Steht nicht bei
Isaias seine ganze Passion geschrieben und zählt nicht David sozusagen auch
seine Martern auf? Und steht nicht geschrieben, daß er der Erlöser und Retter
ist, der durch sein Opfer den sündigen Menschen erlösen wird? Und ist nicht
genau angegeben – und Jonas ist das Zeichen – daß ihn die unersättlichen
Eingeweide der Erde drei Tage lang verschlingen und dann ausspeien werden, wie
der Walfisch den Propheten? Und steht nicht von ihm geschrieben: "Mein
Tempel, also mein Leib, wird drei Tage, nachdem er zerstört worden ist, von mir
(also von Gott) wieder aufgerichtet werden?" Was habt ihr geglaubt? Daß er
durch Zauber die Tempelmauern wiedererrichten würde? Nein. Nicht die Mauern,
sondern sich selbst. Und nur Gott konnte aus eigener Kraft auferstehen. Er hat
den wahren Tempel wiedererrichtet: den Leib des Lammes, das geopfert wurde – so
wie es Moses befohlen und prophezeit war – um den "Übergang" der
Menschen, die Kinder Gottes und Sklaven Satans waren, vom Tod zum Leben, von
der Sklaverei zur Freiheit vorzubereiten.
Ihr fragt euch, wie er
auferstanden ist? Ich antworte: Er ist mit seinem wahren Fleisch auferstanden
und mit dem göttlichen Geist, der in ihm wohnt, so wie in jedem sterblichen
Fleisch die darin wohnende Seele die Königin des Herzens ist. So ist er
auferstanden, nachdem er alles erlitten hat, um alles zu sühnen; um die erste
Sünde wiedergutzumachen und die unzähligen Sünden, die täglich von der
Menschheit begangen werden. Er ist auferstanden, wie es unter dem Schleier der
Prophezeiungen vorausgesagt war. Als seine Zeit gekommen war, wurde er geboren
– denkt an Daniel – und zur vorherbestimmten Zeit wurde er geopfert. Hört und
denkt daran, denn zur vorhergesagten Zeit nach seinem Tod wird die
gottesmörderische Stadt zerstört werden.
Ich gebe euch einen Rat: Lest die
Propheten mit dem Herzen und nicht mit dem stolzen Verstand, vom Anfang des
Buches bis zu den Worten des geopferten Wortes. Denkt an den Vorläufer, der ihn
das Lamm nannte, und erinnert euch, welches das Schicksal des symbolischen
mosaischen Lammes war. Durch jenes Blut wurden die Erstgeborenen Israels
gerettet. Durch dieses Blut werden die Erstgeborenen Gottes erlöst werden, also
jene, die sich durch ihren guten Willen dem Herrn geheiligt haben. Erinnert
euch an den messianischen Psalm Davids und an den messianischen Propheten
Isaias und versteht sie. Denkt an Daniel. Erhebt euer Gedächtnis aus dem Staub
in das Blau des Himmels und vergegenwärtigt euch jedes Wort über das Königtum
des Heiligen Gottes, und ihr werdet verstehen, daß euch kein stärkeres Zeichen
hätte gegeben werden können, als dieser Sieg über den Tod, diese aus sich
selbst erfolgte Auferstehung. Denkt daran, wie unvereinbar mit seiner
Barmherzigkeit und seiner Sendung eine Bestrafung derer vom Kreuz herab gewesen
wäre, die ihn so erhöht haben. Er war immer noch der Erlöser, auch als der
verspottete und an das Holz genagelte Gekreuzigte! Die Glieder waren
gekreuzigt, der Geist und der Wille jedoch frei. Und mit diesen wollte er noch
warten, um den Sündern Zeit zu lassen, zu glauben und sein Blut über sich
herabzurufen, nicht unter gotteslästerlichem Geschrei, sondern mit dem Seufzer
der Zerknirschung.
Nun ist er auferstanden. Alles hat
er vollbracht. Glorreich ist er vor seiner Menschwerdung gewesen. Dreimal
glorreich ist er nun, nachdem er sich so viele Jahre in einem Körper erniedrigt
und sich dann selbst geopfert hat im vollkommenen Gehorsam durch seinen Tod am
Kreuz, um den Willen Gottes zu erfüllen. Glorreich über alle Maßen wird er nun
zusammen mit dem verherrlichten Fleisch zum Himmel auffahren und in die ewige
Herrlichkeit eingehen. Dies wird der Beginn des Reiches sein, dessen Bedeutung
Israel nicht verstanden hat. Und zu diesem Reich ruft er eindringlicher denn je
mit seiner ganzen Liebe und Autorität die Völker der Welt. Sie alle, wie es die
Gerechten Israels und die Propheten geschaut und vorausgesagt haben, alle
Völker werden zu ihrem Heiland kommen. Und es wird keine Juden oder Römer,
Skythen oder Afrikaner, Iberer oder Kelten, Ägypter oder Phrygier mehr geben.
Die von jenseits des Euphrat werden sich mit den Quellen des ewigen Flusses
vereinigen. Die Völker des Nordens werden an der Seite der Numidier zu seinem
Reich kommen; Rassen und Sprachen, Sitten und Hautfarben werden keine Rolle
mehr spielen. Es wird ein einziges zahlloses, leuchtendes, reines Volk geben,
eine einzige Sprache, eine einzige Liebe. Es wird das Reich Gottes, das Reich
des Himmels sein, und der ewige Herrscher, der auferstandene Geopferte, und
sein ewiges Volk, die an ihn Glaubenden. Glaubt also, um zu diesem Volk zu gehören!
Hier ist nun Emmaus, Freunde. Ich
gehe weiter. Dem Wanderer, der noch einen so weiten Weg zurücklegen muß, ist
kein Aufenthalt erlaubt.»
«Herr, du bist gelehrter als ein
Rabbi. Wäre er nicht tot, würden wir glauben, daß er zu uns gesprochen hat. Wir
möchten noch andere und ausführlichere Wahrheiten von dir hören; denn nun
verstehen wir die Worte des Buches nicht mehr, da wir eine Herde ohne Hirten
und durch den Haß Israels beunruhigt sind. Willst du, daß wir mit dir kommen?
Du könntest uns weiterhin unterweisen und so das Werk des Meisters, der uns
genommen wurde, vollenden.»
«Ihr habt ihn so lange gehabt, und
es hat nicht genügt, euch zu vollenden? Ist dies hier nicht die Synagoge?»
«Ja. Ich bin Kleophas, der Sohn
des Synagogenvorstehers Kleophas, der in der Freude gestorben ist, den Messias
kennengelernt zu haben.»
«Und immer noch trüben Zweifel
deinen Glauben? Aber es ist nicht eure Schuld. Nach dem Blut braucht es noch
das Feuer. Dann werdet ihr glauben, denn ihr werdet verstehen. Lebt wohl.»
«O Herr, es will schon Abend
werden, und die Sonne geht bald unter. Du bist müde und durstig. Komm herein.
Bleibe bei uns. Du wirst zu uns von Gott sprechen, während wir Brot und Salz
teilen.»
Jesus geht hinein und wird mit der
üblichen hebräischen Gastfreundlichkeit bedient. Man bringt Getränke und Wasser
für die müden Füße.
Dann setzen sie sich zu Tisch, und
die beiden bitten ihn, die Mahlzeit zu segnen.
Jesus steht auf, hält das Brot auf
den flachen Händen, erhebt die Augen zum roten Abendhimmel, dankt für die
Speise und setzt sich. Er bricht das Brot und teilt es mit seinen Gastgebern.
Und während er dies tut, gibt er sich zu erkennen als der, der er ist: der
Auferstandene.
Er ist nicht der strahlende
Auferstandene, als der er den anderen, die ihm nahestehen, erschienen ist. Aber
er ist ein Jesus voller Majestät, und die Wunden an den schmalen Händen sind
deutlich zu sehen: rote Rosen auf dem Elfenbein der Haut. Ein sehr lebendiger
Jesus in seinem wiederhergestellten Fleisch. Aber auch Gott in der Macht seines
Blickes und seiner Erscheinung.
Die beiden erkennen ihn und fallen
auf die Knie... Und als sie es wagen, wieder aufzublicken, bleibt von ihm nur
noch das gebrochene Brot.
Sie nehmen es und küssen es. Jeder
nimmt seinen Anteil und legt ihn, wie eine Reliquie in ein Leinentüchlein
gewickelt, auf die Brust.
Sie weinen und sagen: «Er ist es
gewesen! Und wir haben ihn nicht erkannt. Und dennoch, brannte nicht auch dir
das Herz in der Brust, als er zu uns sprach und uns die Schrift auslegte?»
«Ja. Und nun glaube ich ihn neu zu
sehen. Im Licht, das vom Himmel kommt. Dem Licht Gottes. Und ich sehe, daß er
der Erlöser ist.»
«Gehen wir. Ich spüre weder
Müdigkeit noch Hunger mehr. Wir wollen nach Jerusalem gehen und es seinen
Jüngern berichten.»
«Gehen wir. Oh, hätte doch mein
alter Vater diese Stunde noch erleben dürfen!»
«Sprich nicht so. Ihm war mehr
gegeben als uns. Der Geist des gerechten Kleophas sah den Sohn Gottes in den
Himmel zurückkehren ohne den Schleier, der ihn aus Erbarmen mit unserer
menschlichen Schwäche verhüllte. Gehen wir! Gehen wir! Wir werden mitten in der
Nacht ankommen. Aber wenn er es will, finden wir einen Weg, in die Stadt zu
gelangen. Er, der die Tore des Todes geöffnet hat, kann ebenso die Tore der
Stadtmauern öffnen. Gehen wir!»
Und in der purpurnen
Abenddämmerung machen sie sich eilends auf den Weg nach Jerusalem.