ANBETUNG DER WEISEN

Kap.56

In der christlichen Kunst bildet die Anbetung der Hirten und der Weisen eine Einheit. Daher ist es nicht verwunderlich, daß frühere Privatoffenbarungen, z.B. durch Maria von Agreda (1694-1766), Maria Cäcilia Baij (1602-1665), Anna Katharina Emmerick (1774-1824), die Weisen aus dem Morgenland immer in der Geburtsgrotte zeigen. Im 20. Jahrhundet ist die christliche Kunst in ihrem eigenen Aussagewert etabliert, die neutestamentliche Exegese öffnet sich historischen und literarischen Deutungskriterien, so daß Privatoffenbarungen geradezu in der Pflicht geschichtlicher Wahrheit stehen.

Daß die Sterndeuter den Stern bereits vor der Geburt Jesu aufgehen sahen, widerspricht dem Sinn sichtbarer Zeichen und Symbole. Da sie aber einen langen Weg vor sich hatten, gelangten sie erst Monate nach Jesu Geburt in Jerusalem an. Natürlich wird die Heilige Familie den behelfsmäßigen Geburtsort so bald wie möglich mit einer normalen Unterkunft vertauscht haben. Der Evangelist Matthäus 2,11 spricht von einem "Haus" als Ort der Begegnung mit dem "neugeborenen König der Juden". Von Herodes berichtet Matthäus, er habe sich von den Ankömmlingen sagen lassen, wann ihnen der Stern erschienen war (Mt 2,7). Und "dieser Zeit entsprechend" ließ er später "alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren" (Mt 2,16) töten, wobei er wohl einen Sicherheitszeitraum zur Zeitangabe der Sterndeuter hinzufügte. Auch dürften die ungewöhnlichen Erlebnisse der Hirten bekannt gewesen sein, die inzwischen ein Jahr zurückliegen:

Der Zug der "magoi" ist sicherlich von wunderbaren Geheimnissen umgeben. Wer sie dem wunderbaren Gott nicht zutraut, der wird sie auf literarische Motive und orientalische Fabulierlust zurückführen.

Ich sehe das kleine, weiße Bethlehem unter dem Licht der Sterne liegen. Zwei große Straßen teilen es in Kreuzform. Die eine kommt von außerhalb des Ortes und ist die Hauptstraße, die dann wieder zum Städtchen hinausführt. Die andere verbindet die äußersten Enden der Ortschaft miteinander, führt aber nicht darüber hinaus. Andere Wege zerschneiden den kleinen Ort ohne jede Straßenplanung, wie wir sie kennen. Manchmal ein kleiner Platz, sei es für einen Markt, sei es für einen Brunnen.

Gerade mit einem dieser unregelmäßigen Plätze müssen wir uns besonders beschäftigen. Er sollte quadratisch oder mehr oder weniger rechteckig sein. Statt dessen ist ein so merkwürdiges Trapez daraus geworden, daß es auch ein Dreieck sein könnte mit einer abgebrochenen Spitze. Auf der Breitseite oder Basis des Dreiecks steht ein breites, niedriges Gebäude. Es ist das größte des Ortes. Das Gebäude hat im ersten Stockwerk viele Fenster, während darunter Säulengänge die Höfe umschließen, in denen Stroh und Abfälle um die Tränken der Pferde und anderer Tiere herumliegen. An den einfachen Säulen der Hallen sind Ringe angebracht, an denen die Tiere angebunden werden. Es wird mir klar, daß dies die Herberge von Bethlehem ist.

Auf den beiden anderen gleichlangen Seiten des Platzes befinden sich Häuser und Hütten, einige mit kleinen Vorgärten. Auf der anderen schmäleren Seite, gegenüber der Karawanserei, ist ein kleines Haus mit einer Außentreppe, die auf halber Höhe der Fassade Zutritt zum bewohnten Stockwerk gibt. Angesichts der späten Stunde ist niemand auf der Straße zu sehen.

Ich sehe nur, daß das nächtliche Licht, das vom sternenbesäten Himmel herabströmt, heller wird. Ich erhebe den Blick, um nach der Quelle dieses stärkeren Lichtes zu schauen. Ein Stern von ungewöhnlicher Größe, wie ein kleiner Mond, gleitet am Himmel von Bethlehem dahin, und die anderen scheinen auszuweichen, um wie Dienerinnen ihrer Königin Platz zu machen; so groß ist der Glanz, der sie überragt. Vom Stern, der einem gewaltigen Saphir gleicht, der innen von einer Sonne erleuchtet wird, geht ein Schweif aus, in dem unter der vorherrschenden Farbe des leuchtenden Saphirs, blonde Topase, grüne Smaragde, glitzernde Opale, blutrote Rubinen und sanftschillernde Amethysten aufleuchten. Alle Edelsteinfarben der Welt sind in diesem Schweif vertreten, der den Himmel in schnell wogender Bewegung durchfurcht, als wäre er lebendig. (...)

Es ist nicht mehr die arme Stadt, für uns weniger als ein Bauerndorf, sondern eine phantastische Märchenstadt, in der alles silbern ist. Und das Wasser der Quellen und Brunnen ist wie flüssiger Diamant.

Mit einem noch lebhafteren Leuchten bleibt der Stern über dem Häuschen auf der engeren Seite des kleinen Platzes stehen. (...)

Das Häuschen ist eingetaucht in das flüssige Feuer der Edelsteine. Das Dach der kleinen Terrasse, das Treppchen aus dunklem Stein, die kleine Tür: alles ist wie ein Block aus reinstem Silber, der überstreut ist mit Perlen und Diamanten. (...)

Aber die Jungfrau weiß es nicht. Sie wacht an der Wiege ihres Sohnes und betet.

Von der Hauptstraße her nähert sich eine Reiterschar. Berittene und an der Hand geführte Pferde, Dromedare und Kamele mit Reitern oder Lasten. Auf dem Platz angelangt, machen alle halt. Die Reiterschar unter dem leuchtenden Stern erstrahlt in phantastischem Glanz. (...)

Während die Diener mit ihren Tieren die Karawanserei aufsuchen, steigen drei aus der Karawane von ihren Reittieren, die ein Diener sofort wegführt, und gehen auf das Haus zu. Sie werfen sich nieder, mit der Stirne zur Erde, um den Staub zu küssen. Es sind drei Mächtige. Das beweisen die reichen Gewänder. Einer mit tief dunkler Hautfarbe ist von einem Kamel gestiegen; er ist eingehüllt in einen äthiopischen Mantel aus schneeweißer Seide, der an der Stirn und um die Lenden von kostbaren Reifen gehalten wird. An seiner Seite hängt ein Dolch oder ein Schwert mit perlengeschmücktem Griff. Die beiden anderen steigen von reich geschmückten Pferden. Der eine von ihnen ist bekleidet mit einem reichen, gestreiften Stoff, in dem die gelbe Farbe vorherrscht. Es ist ein Herrenmantel, versehen mit Kapuze und Gürtel, beide so reich mit Goldbrokat bestickt, daß sie einem einzigen goldenen Filigranstück gleichen. Der dritte hat ein hemdartiges seidenes Gewand an mit langen und weiten Hosen, die an den Füßen zusammengeschnürt sind. Darüber umhüllt ihn ein feiner Schal, der mit seinen leuchtenden Farben wie ein Blumengarten aussieht. Auf dem Kopf trägt er einen Turban, der von einer Diamantenkette gehalten wird.

Nachdem sie dem Haus ihre Huldigung dargebracht haben, in dem sich der Erlöser befindet, erheben sie sich und gehen zur Karawanserei, wo die Diener angeklopft und um Einlaß gebeten haben.

Hier wird die Vision unterbrochen.

Es ist Tag geworden. Hell strahlt die Sonne am vormittäglichen Himmel. Ein Diener der drei überquert den Platz und steigt die Treppe des kleinen Hauses empor. Er tritt ein, kommt bald wieder heraus und kehrt zur Herberge zurück.

Die drei Weisen treten hervor, ein jeder gefolgt von einem Diener. Sie überqueren den Platz. (...) Sie sind jetzt noch reicher gekleidet als am Abend zuvor. Die Seidenkleider glänzen, die Edelsteine glitzern. Ein großer Federbusch mit kostbaren Diamantensplittern flattert und funkelt auf dem Haupt des Turbanträgers.

Einer der Diener trägt eine mit Intarsien verzierte Truhe, deren Beschläge aus reinstem Gold sind; der zweite einen fein gearbeiteten Kelch mit einem noch mehr verzierten Deckel aus purem Gold; der dritte einen breiten, niedrigen Krug aus reinem Gold, dessen pyramidenartiger Verschluß mit einem Brillanten besetzt ist.

Die drei steigen die Treppe hinauf und treten in einen Raum, der von der Straße bis zur Rückseite des Hauses reicht. Man sieht durch ein zur Sonne hin geöffnetes Fenster ein Gärtchen im Hof. Türen öffnen sich an den beiden Seitenwänden, und durch diese blicken die Eigentümer des Hauses: ein Mann, eine Frau und drei oder vier größere und kleinere Kinder.

Maria sitzt da mit dem Kind auf dem Schoß; neben ihr steht Joseph; aber auch sie erhebt und verneigt sich, als sie die Magier eintreten sieht. Sie sieht schön aus in ihrem einfachen, blütenweißen Gewand, das sie vom Hals bis zu den Füßen, von den Schultern bis zu den zarten Handgelenken bedeckt. Von ihrem von blonden Zöpfen umrahmten Haupt und dem vor Rührung geröteten Gesicht, von den zärtlich lächelnden Augen und dem Mund, der sich zum Gruß: «Der Herr sei mit euch!» öffnet, sind die drei einen Augenblick so beeindruckt, daß sie stehenbleiben. Dann treten sie näher, werfen sich zu ihren Füßen nieder und bitten sie, sich zu setzen.

Sie selbst aber setzen sich nicht, wie sehr Maria sie auch darum bittet. Sie bleiben auf den Knien, auf ihren Fersen ruhend. Hinter ihnen, ebenfalls auf den Knien, sind die drei Diener. Sie waren sofort nach Übertreten der Schwelle niedergekniet. Sie haben die drei mitgebrachten Gegenstände vor sich aufgestellt und warten nun.

Die drei Weisen betrachten das Kind, das mir neun bis zwölf Monate alt zu sein scheint, so lebhaft und kräftig ist es bereits. Es steht auf dem Schoß der Mutter und lächelt. (...)

Der älteste der Weisen spricht für alle. Er erzählt Maria, wie sie in einer Nacht des vergangenen Dezembers gesehen haben, daß sich ein neuer Stern von ungewöhnlichem Glanz am Himmel entzündete. Nie hatten die Himmelskarten dieses Gestirn aufgezeichnet oder von ihm Kunde gegeben. Sein Name war unbekannt, denn es hatte keinen. Aufgegangen war er aus dem Schoß Gottes, um den Menschen eine segensvolle Wahrheit, ein göttliches Geheimnis zu verkünden. Aber die Menschen hatten nicht darauf geachtet, denn ihre Seelen steckten im Schlamm.

Sie aber hatten ihn gesehen und sich bemüht, seine Stimme zu verstehen. Gern opferten sie den kurzen Schlaf, den sie ihren Gliedern sonst gewährten, vergaßen das Essen und vertieften sich in das Studium des Tierkreises. Und die Stellungen der Gestirne, die Zeit, die Jahreszeit, die Berechnung der verflossenen Stunden und der astronomischen Konstellationen hatten ihnen den Namen und das Geheimnis des Sternes kundgetan. Sein Name war: «Messias.» Und sein Geheimnis: «Der Messias ist zur Welt gekommen.» Und so waren sie abgereist, um ihn anzubeten, ein jeder, ohne von dem anderen zu wissen, über Berge und Flüsse, durch Täler und Wüsten waren sie nächtelang in Richtung Palästina gereist, denn der Stern wanderte in dieser Richtung, für einen jeden von einem verschiedenen Punkt der Erde aus. Sie sollten sich jenseits des Toten Meeres treffen; der Wille Gottes hat sie dort zusammengeführt, und zusammen sind sie weitergereist und haben sich durch ein Wunder des Ewigen verstanden, obgleich ein jeder in seiner Landessprache redete.

Zusammen sind sie nach Jerusalem gekommen, weil der Messias der König von Jerusalem, der König der Juden, sein sollte. Aber der Stern hat sich über dem Himmel dieser Stadt verhüllt; sie fühlten ihr Herz brechen und erforschten sich, um zu wissen, ob sie Gottes unwürdig geworden seien. Aber ihr Gewissen hat sie beruhigt, so daß sie sich an König Herodes wandten, um zu erfahren, in welchem Palast der neugeborene König zu finden sei, denn sie seien gekommen, ihn anzubeten. Da hat der König die Obersten der Priester und Schriftgelehrten zusammengerufen und sie gefragt, wo der Messias geboren werden solle. Und sie haben geantwortet: «In Bethlehem in Judäa.»

Und als sie die heilige Stadt verlassen hatten, strahlte der Stern am Abend heller denn je. Der ganze Himmel war wie ein Feuermeer. Dann blieb er stehen und hat das ganze Licht der anderen Sterne in seinem Strahlenglanz über diesem Haus vereinigt. So haben sie verstanden, daß das göttliche Kind hier sein mußte. Und jetzt beteten sie es an und brachten ihm ihre Geschenke und mehr noch ihre Herzen dar, die nie aufhören würden, Gott wegen der erwiesenen Gnaden zu preisen und seinen Sohn zu lieben, dessen heilige Menschheit sie gesehen haben. Nachher wollten sie zurückkehren und dem König Herodes davon berichten, denn auch er wünschte, ihn anzubeten.

«Und sieh, hier ist Gold, wie es einem König gebührt, hier ist Weihrauch, wie es einem Gott gebührt, und hier, o Mutter, ist Myrrhe; denn dein Sohn ist Gott, aber auch Mensch. Durch sein Fleisch und sein menschliches Leben wird er Bitterkeit und das unvermeidliche Gesetz des Sterbens erfahren. Unsere Liebe möchte sie nicht aussprechen, diese Worte, und ihn für ewig halten, auch dem Fleisch nach. Aber, o Frau, wenn unsere Zeichen, und mehr noch unsere Seelen nicht irren, ist dein Sohn der Erlöser, der Gesalbte Gottes und deshalb muß er, um die Welt zu retten, die Schuld der Welt auf sich nehmen, zu deren Strafen auch der Tod gehört. Dieser Balsam ist für jene Stunde, damit das Fleisch, das doch heilig ist, keine Verwesung kenne und seine Unversehrtheit bewahre bis zu seiner Auferstehung. Um dieser unserer Gabe willen möge er sich unser erinnern und seine Diener reiten und ihnen sein Reich schenken. Einstweilen möge die Mutter ihr Kind unserer Liebe überlassen, damit wir durch es geheiligt werden; wir möchten seine Füßchen küssen, damit der Segen des Himmels auf uns herniederkomme.»

Maria hat inzwischen die Bestürzung überwunden, die die Worte der Weisen in ihr hervorgerufen haben, und ihre Traurigkeit unter einem Lächeln verborgen. Sie legt ihr Kind dem Ältesten in die Arme, der es küßt und von ihm geliebkost wird. Dann reicht er es den beiden anderen.

Jesus lächelt, spielt mit den Kettchen und den Fransen der drei und schaut aufmerksam in die offene Truhe voller gelber, glänzender Dinge; er freut sich, als er sieht, daß die Sonne einen Regenbogen bildet, sobald sie den Brillanten des Deckels auf dem Gefäß mit Myrrhen trifft.

Dann geben sie Maria das Kind zurück und erheben sich. Auch Maria erhebt sich. Nachdem der Jüngste der Weisen seinem Knecht aufgetragen hat, sich zu entfernen, verneigen sie sich nacheinander. Die drei sprechen noch ein wenig. Sie können sich noch nicht entschließen, das Haus zu verlassen. Tränen der Rührung stehen in ihren Augen. Endlich wenden sie sich dem Ausgang zu, von Maria und Joseph begleitet. (...)

An der Schwelle angekommen – man darf nicht vergessen, daß der Raum so lang ist wie das Haus – verabschieden sich die drei; sie knien noch einmal nieder und küssen die Füßchen Jesu. Maria, über den Kleinen gebeugt, faßt ihn beim Händchen und führt es über das Haupt eines jeden der Weisen zu einer Geste des Segens. Dann steigen die drei Weisen die Treppe hinunter. Die Karawane steht schon bereit. Die Zügel der Pferde glänzen in der untergehenden Sonne. Das Volk hat sich auf dem kleinen Platz versammelt, um dem ungewöhnlichen Schauspiel beizuwohnen.

Jesus lacht und klatscht in die Hände. Seine Mutter hat ihn hochgehoben und auf die breite Brüstung gestellt, die den Treppenabsatz umgibt; sie hält ihn mit einer Hand an der Brust, damit er nicht hinunterfällt. Joseph ist mit den dreien hinabgestiegen und hält einem jeden beim Besteigen der Pferde und des Kamels die Steigbügel.

Nun sind Herren und Diener alle auf ihren Tieren. Der Marschbefehl wird gegeben. Die drei beugen sich zu einem letzten Gruß nieder bis zum Hals der Reittiere. Auch Joseph verneigt sich, und ebenso Maria, die alsdann das Händchen Jesu zu einer Geste des Abschieds und des Segens führt.

 

 

 

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