Die Harry Potter Leser und die Gefesselten in Platons Höhlengleichnis

2 Leserbriefe

Der Kommentar der Kulturredakteurin Simone D. des Münchener Merkur zum Erscheinen des letzten Harry Potter Bandes veranlaßte mich, einen Kommentar an die Zeitung abzuschicken. Ich zitiere zunächst das Wesentliche des Kommentars:

Genuss ohne Gefahr

Nicht zu fassen: Man schlägt die letzte Seite des gerade verschlungenen, heiß geliebten Schmökers um – und es geht einfach nicht weiter, kein einziges Blatt Papier wächst nach, so sehr man sich's auch wünscht. (...) Und wenn sich Autorin J.K. Rowling nicht erweichen lässt, dann ist der Abschied endgültig.

Was aber nie zu Ende gehen wird, ist jenes herrliche Gefühl, wenn wir ganz aufgehen im Dahinströmen von Worten und Sätzen. Die Kunst baut um uns eine Welt, die aufregend, beängstigend, dann wieder lustig oder unsagbar schön ist, und wir tauchen darin ein: ohne Gefahr, aber mit jeglichem Genuss.

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Meine Antwort

Das Harry-Potter Fieber ist mit dem Erscheinen des 7. Bandes wieder auf Höchststand. Da darf auch die Kulturredakteurin S. Dattenberger einmal jede Zuückhaltung ablegen und vom Heilssegen der Kunst schwärmen: "Die Kunst baut um uns eine Welt ... und wir tauchen darin ein: ohne Gefahr, aber mit jeglichem Genuss."

"Eintauchen" ist offensichtlich der Schlüsselbegriff, der den Kunsthorizont der Kommentatorin umreißt. Kunst in ihrer Vorstellung ist eine Phantasiewelt, deren Bezug zur Wirklichkeit des Lebens letztlich von untergeordneter Bedeutung ist. Sie wird gerne als komplementäres Gegengewicht zur heutigen rational funktionierenden Welt gesehen, keinen anderen Maßstäben unterworfen als denen, die der Künstler selbst setzt.

Der "heiß geliebte (neue Rechtschreibung!) Schmöker" steht repräsentativ für eine Unmenge kultureller Produktionen, die den Geist der Menschen vernebeln – falls diese es zulassen. Denn welchem Niveau einer Fernsehsendung oder eines Literaturprodukts sich jemand überläßt, danach wir sein eigenes Denken geformt.

Die Harry-Potter Welt, die sich ja außerhalb der normalen menschlichen Gesellschaft befindet, läßt an Platons Höhlengleichnis (Staat, 7. Buch) denken. Dort sitzen Menschen angekettet vor einer Wand, die über eine hinter ihnen eingezogene Mauer hinweg von einer Lichtquelle beleuchtet wird. Gehen nun Menschen mit allerlei Gerätschaften auf den Schultern an der Mauer entlang, sehen die Eingeschlossenen nur die Geräte an die Wand projiziert. Da die Gefangenen nie etwas anderes gesehen haben als diese Schatten, diskutieren sie über diese wie über die Dinge selbst.

Heute sitzen Harry-Potter Fans gefesselt vor ihren Computern und chatten im Internet über Phantasiegestalten als würden sie wirklich existieren. Was läßt sich davon substantiell auf die Lebenswirklichkeit übertragen?

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Ebenfalls am 24.7.07 schrieb ich eine kurze Replik zu einem längeren und sachlichen Kommentar der FAZ von Felizitas von Lovenberg, erschienen am Tag zuvor.

Ich gönne allen die Freude am Lesen der Harry Potter Bände. Ich selbst bin über die ersten 30 Seiten des ersten Bandes nicht hinausgekommen, da mir die literarische Qualität zu gering erschien. Ich halte es für bedenklich, sich über Jahre hinweg mit zum Teil abstrusen Phantasiegestalten zu beschäftigen. Was leisten sie für die konkrete und positive Lebensbewältigung?

"Nur die Bibel hat eine höhere Auflage". Diese Unterüberschrift lenkt die Aufmerksamkeit auf ein oft gekauftes, aber wenig gelesenes Buch. Dabei bieten die Geschichten des Alten Testaments so viele wechselhafte menschlichen Schicksale, aus denen man wirklich etwas lernen kann und die eine Allgemeinbildung vermitteln, die uns Heutige mit früheren Generationen und mit der gesamten Heilsgeschichte verbinden können.

 

 

 

 

 

Erstellt: Juli 2007

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