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Überlegungen zur Absetzung der Oper Idomeneo

A. Gibt es objektive Maßstäbe zur Bewertung von Kunst?

Kommentar "Phantom der Oper" in SPIEGEL Nr 40, 2.10.06

I. Vorbemerkung

II. Der SPIEGEL-Text

III. Zwei Zwangsvorstellungen der Autoren

IV. Freiheit des Einzelnen und Persönlichkeitsrechte der Anderen

V. Inhalte der Kunst und die Kunstkritiker

VI. Möglichkeit und Pflicht individueller Meinungsbildung

B. Warum die Freiheit der Kunst Christen feige macht.

I. Vorbemerkung

Aus meiner Absicht, einen Leserbrief an den SPIEGEL zu schicken – was ich in knapper Form auch tat – entstand ein längerer Argumentationsgang, der den Inhalt dieses Kapitels darstellt. Als ich aber merkte, daß von den Politikern kein einziger die Absetzung verteidigte, entschloß ich mich, der Frage nachzugehen, warum christliche Politiker, die auf Jesus Christus getauft sind, die Freiheit der Kunst mehr verteidigen als ihren Herrn und Gott.

II. Der SPIEGEL-Text

Der SPIEGEL-Journalismus versteht es, das Für und Wider eines Themas darzulegen, nimmt jedoch in ethischen Wertfragen gerne eine ironisch-distanzierte Haltung ein. Auch die beiden folgenden beiden Textauszüge vom Anfang und Ende des Artikels zeigt die bekannte Schlingerargumentation, die für jede Seite Lob und Tadel bereithält:

... Kirsten Harms, die Intendantin der Deutschen Oper in Berlin, hat die Oper "Idomeneo" aus dem Programm genommen, weil am Schluss Poseidon, Mohammed, Christus und Buddha mit abgeschlagenen Köpfen gezeigt wurden. Nach einer vagen Warnung der Berliner Sicherheitsbehörden hatte sie Angst vor einem Anschlag islamistischer Terroristen.

Es war "appeasement", Beschwichtigung. Und es war ein Fehler, keine Frage. Doch in der Masse und Einhelligkeit wirkten die Kritischen Kommentare auch wohlfeil. Nie war Widerstand gegen den Terror billiger zu haben. Ken Selbstmordattentäter in Sicht, niemand riskierte mehr als ein Verhaspeln vor den Mikrofonen. Es war nur ein Phantomaufbegehren.

Die eigentliche Frage bleibt auch nach dem verbalen Heldentum der vergangenen Woche offen: Sind wir zu Opfern bereit, um unsere Kultur zu verteidigen?

Man muss den Fall "Idomeneo" nur variieren, um erkennen zu können, welche Prüfungen auf Deutschland warten. Was wäre gewesen, Kirsten Harms hätte die Einschätzung des Landeskriminalamts ignoriert und es hätte tatsächlich einen Anschlag gegeben, mit Verwundeten und Toten? Wie wären die Kommentare dann ausgefallen? Sind wir wirklich bereit, für Freiheit auf Sicherheit zu verzichten, wenn die Freiheit einen Blutzoll verlangt? ...

... Nun wird nach Wegen gesucht, wie sich die Deutschen ertüchtigen können, um selbstbewusster ihre Werte nach innen und außen zu verteidigen. Zum Beispiel wird in manchen Kreisen eine Rückkehr der Religiosität erhofft und eingefordert, da nur der starke Christ dem starken Muslim etwas entgegenzusetzen habe. Den Deutschen soll wieder etwas heilig sein. (...)

Die christlichen Kirchen haben in Deutschland immer wieder versucht, sich Schonräume zu sichern. Zuletzt gab es einen klerikalen Aufschrei gegen die Religionssatire "Popetown" vom MTV. Der Münchner Kardinal Friedrich Wetter sagte, man könne nicht zulassen, "dass Christus und seine Leiden, die Mitte unseres Glaubens, so verhöhnt werden". Zum wiederholten Male versuchte die CSU bei dieser Gelegenheit, Gotteslästerung verschärft unter Strafe zu stellen. Seit 1969 ist sie nur verboten, wenn der "öffentliche Friede" gestört werden könnte.

Nicht alles ist ein Kunstwerk, was im Namen der Kunstfreiheit geschützt werden soll. Und nicht jede Religionskritik ist Aufklärung, manches entspringt eher übergroßen Egos oder Geldgier. Aber wie will man objektiv in guten und schlechten Gebrauch von Kunstfreiheit unterscheiden? "Eine Freiheit, die nicht missbraucht werden kann, ist keine", so der Soziologe Wolfgang Sofsky.

Deshalb liegt in der Verteidigung der Freiheit immer auch die Verteidigung, was einem nicht passt. ...

III. Zwei Zwangsvorstellungen der Autoren

In dem Artikel "Das Phantom der Oper" werden zwei Kapitulationshaltungen erkennbar: Zu Beginn ihres Beitrages sprechen die Autoren Jan Fleischhauer und Dirk Kurbjuweit von appeasement-Haltung, am Ende stellen sie die Frage: "Wie will man objektiv in guten und schlechten Gebrauch von Kunstfreiheit unterscheiden?" Die Fixiertheit auf diese beiden Vorstellungen veranlaßt sie, Kunstfreiheit als formales Prinzip absolut zu setzen, jedoch einer konkreten Beurteilung der umstrittenen Schlußszene auszuweichen.

IV. Freiheit des Einzelnen und Persönlichkeitsrechte der Anderen

1.       Es stellt sich nun die Frage: Ist diese selbstverordnete Hilflosigkeit, kein Urteil über den Wert von Kunst fällen zu können, unabwendbar?

Die Antwort auf diese Frage hängt von der Beantwortung einer anderen Fage ab: Gibt es Mißbrauch von Freiheit, der durch staatliches Recht als objektiv angesehen und mit Strafe belegt wird?

2.       Die Antwort wird wohl indirekt gegeben werden müssen: Der Staat schützt strafrechtlich primär die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen auf Würde, Unversehrtheit und Eigentum. Staatliches Recht verlangt also vom Einzelnen, die Rechte der Anderen zu achten.

Aufgabe und Ziel staatlicher Gesetzgebung ist, für Gerechtigkeit und Friede in der menschlichen Gemeinschaft zu sorgen. Freiheit des Einzelnen kann sich also nur in einer rechtlich geordneten Gemeinschaft verwirklichen und zwar umso mehr, je bereitwilliger jeder Einzelne dies Ordnung bejaht und durch Gesinnung und Handeln fördert. Eine gegenteilige Haltung stört den Frieden der Gemeinschaft und erschwert die Gestaltung individueller Freiheit. Einen guten Gebrauch seiner Freiheit macht also der, der einen sinnvollen Beitrag zum Gelingen des Zusammenlebens der Menschen in Gerechtigkeit und Frieden leistet.

3.       Freiheit der Kunst ist Teil des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Diese hängt nicht im luftleeren Raum, sondern betrifft immer irgendeine Beziehung zwischen der eigenen Person und einer anderen Person oder einer Gesamtheit von Personen. Ziel der freien Meinungsäußerung kann nur sein, Verhältnisse gerechten Ausgleichs untereinander herzustellen.

4.       Meinungsäußerungen, die zu Verständigung und Übereinstimmungen führen sollen, müssen auf Argumenten gegründet sein, die allgemeingültigen Regeln der Logik genügen. Auch die Argumente selbst müssen inhaltlich auf Prinzipien beruhen, die mit den unveränderlichen Bedingungen menschlicher Existenz und Gemeinschaft übereinstimmen. Das Vorhandensein und die Gültigkeit solcher Prinzipien gilt es grundsätzlich anzuerkennen, ob sie nun bereits bekannt oder noch unbekannt sind.

V. Inhalte der Kunst und die Kunstkritiker

1.       Die Freiheit der Kunst als Teil der freien Meinungsäußerung ist ein formales Prinzip, das in sich jedoch nicht als Rechtfertigung ihrer Inhalte dienen kann. Was durch Kunstschaffen entsteht, ist nicht als wertfrei anzusehen, sondern enthält für menschliche Existenz und Gemeinschaft Deutungen und Bedeutungen, überen deren Wert und Wahrheitsgehalt man Urteile fällen kann.

Was der Künstler hervorbringt, hängt mit seinem Selbstverständnis und seiner Beziehung zur menschlichen Gemeinschaft zusammen. Der Künstler freilich, der die Autonomie des Subjekts zum obersten Prinzip seines Schaffens erhebt, dient nicht der Gemeinschaft, sondern verstärkt die Weltanschauung eines Individualismus, der zu keiner wirklichen Verständigung mehr fähig ist.

2.       Natürlich erwartet der Künstler für seine Werke öffentliche Akzeptanz. Jedem Einzelnen steht es frei, ein Werk für mehr oder weniger wertvoll zu halten. Kunstinteressiert bilden ihre Meinung jedoch häufig nicht durch eigenes Urteil, sondern schließen sich dem Urteil von Kunst- und Kulturkritikern an. Deren Vermittlerrolle ist in mehrfacher Hinsicht problematisch:

       Kunstkritiker verdanken ihre berufliches Auskommen der Kunst, die sie zu beurteilen haben und neigen mehr oder weniger bewußt dazu, ihr Denken dem der Künstler anzugleichen.

       Sie besitzen ein umfangreiches Vergleichswissen, das zu immer größerer Relativierung ihrer Urteile führt, da sie nur mit Vergleichbarem argumentieren, aber nicht an übergeordneten Maßstäben überprüfen. Mit der Zeit reduzieren sie dann ihre Urteile auf bloße Vermittlung dessen, was sich der Künstler gedacht hat.

       Dabei akzeptieren sie nicht nur autonomes künstlerisches Selbstverständnis, sondern eignen sich eigene individuelle Allüren an.

       So können die Künstler ihrerseits darauf vertrauen, daß ihnen die Kritiker auch bei weitergehenden Extravaganzen Gefolgschaft leisten. Skandalöses erhöht nur das Interesse der Kunstbeflissenen und wird so zu einer allmählichen Zwangshaltung der Kunstschaffenden. Rivalität unter den prominenten Regisseuren trägt das Ihre zu dieser Tendenz bei.

Durch all diese Faktoren gehen den Kunstkritikern allmählich verläßliche Beurteilungsmaßstäbe verloren.

VI. Möglichkeit und Pflicht individueller Meinungsbildung

1.       Nun gibt es glücklicherweise neben den bestallten Kulturkritikern auch andere Publizisten wie z.B. unsere SPIEGEL-Autoren, die allerdings, wie bereits erwähnt, sich aus prinzipiellen Gründen außerstande erklären, ein objektives Urteil über die frei hinzugefügte Schlußszene der Mozart-Oper zu fällen.

2.       Hier sind wir nun an den Punkt angelangt, worauf alles hinausläuft: Wenn Mißbrauch von Kunst strafrechtlich nicht relevant ist und es keinen sonstigen Konsens über die Ächtung mißbräuchlicher Kunstfreiheit gibt, entfällt tatsächlich jeder objektiver Bewertungsmaßstab, auf den sich der Journalist berufen könnte. Die radikale Schlußfolgerung daraus ist das demokratische Prinzip, nach dem jeder Einzelne zur Willensbildung der Gesamtheit berechtigt und aufgerufen ist. Durch das Recht der freien Meinungsäußerung fällt also jedem Kunstinteressierten die Aufgabe zu, Kunstkritiker zu sein. Dies geschieht dadurch, daß er die Bewertungsmaßstäbe sucht und aufstellt, die er für objektiv hält und für die er, in meinungsbildender Weise, um Zustimmung wirbt. Daß es prinzipiell diese objektiven Maßstäbe gibt, wurde oben bereits dargelegt; denn ohne sie gäbe es keine Verständigung, die ein friedliches Zusammenleben ermöglicht. (Die Leugnung der Möglichkeit friedlichen Zusammenlebens wäre eine Absage an die menschliche Freiheit, die sich ja nur in der Gemeinschaft verwirklichen kann.

 

 

Erstellt: Oktober 2006

 

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