zurück

Liebe Lydia,

Im Anschluß an deinen Vortrag über die Engel haben mich einige Gedanken beschäftigt, die ich dir mitteilen möchte.

Du hast – wie immer – für einen schönen und stimmungsvollen Rahmen gesorgt. Mir hat gefallen, daß du die Lesung des Engelfestes vorgetragen hast und daß wir am Ende Psalm 91 gemeinsam gebetet haben. Auch die Idee, daß sich jeder ein Engelbild auswählen und etwas darüber sagen sollte, fand ich passend. Gefallen haben mir auch deine kenntnisreichen Erklärungen zu den zahlreichen Dias von Engeldarstellungen.

Ich merkte, daß dir die Engel viel bedeuten, du hast Beispiele aus der Bibel angeführt und auch über deine eigenen Erfahrungen gesprochen. Dennoch weiß ich nicht, ob die Zuhörer mit einer frohen Gewißheit über die Existenz und das Wirken der Engel nach Hause gegangen sind, oder ob sie in ihrer je eigenen Vorstellung verblieben sind. Denn du hast im wesentlichen ein freies Glaubensangebot gemacht, aber keine Glaubensgewißheit vermittelt. Ich frage mich, was stimmt vielleicht nicht ganz an dieser Methode der Glaubensvermittlung oder deiner theologischen Denkhaltung allgemein?

Du hast zu Beginn betont, du wollest keinen "theologischen" Vortrag halten, so als ob ein solcher deinem Thema und deinem persönlichen Anliegen nicht gerecht werden könne. Vielleicht meinst du unter "theologisch" eine abstrakte und unpersönliche Darlegung dogmatischer Inhalte. Der Begriff Dogma hat im Zeitalter eines individuellen demokratischen Freiheitsverständnisses für viele den Klang einer bedrohlichen Einengung des selbstbestimmten Gewissens. Jesus aber sagt, nur die Wahrheit macht frei (Joh 8,32). Wenn man Dogmen als zentrale Glaubenswahrheiten versteht, dann dienen sie der Freiheit des Christen als oberste Orientierung.

Unsere heutige Zeit wird – wie von kirchlicher Seite erkannt wird – von einem zunehmenden Relativismus aller Werte und Wahrheiten beherrscht. Auch der demokratisch denkende Christ tendiert dazu, vom Bekenntnis absoluter Wahrheiten und Prinzipien abzurücken, um sich nicht den Vorwurf des Fundamentalismus einzuhandeln. Das führt in der Praxis zu der paradoxen Situation, daß Katholiken während der hl. Messe das Glaubensbekenntnis beten, aber mit den einzelnen Glaubensartikeln letztlich nichts anfangen können, sondern sie als zweifelhaft ihrem persönlichen Urteil anheimstellen (siehe unsere ökumenische Debatte über Maria). Ähnliches gilt auch für die Formel der Präfation: "Darum singen wir mit den Engeln und Erzengeln, den Thronen und Mächten und mit allen Scharen des Himmels von deiner göttlichen Herrlichkeit".

Wer sich authentisches Glaubenswissen der katholischen Kirche aneignen will, kann seit einigen Jahren im Weltkatechismus der Katholischen Kirche und seit kurzem in seiner Kurzfassung des Kompendiums nachlesen. Dort wird auch von den Engeln als einer Realität und Glaubenswahrheit gesprochen. Ich glaube daher, daß der Katechismus eine verläßlichere Quelle über die Engel darstellt als das, was Anselm Grün von seiner psychotherapeutischen Warte aus dazu weiß. Dein Zitat "Über Engel kann man nur leise sprechen" klingt zwar poetisch, ich kann darin allerdings keinen wirklichen Sinn erkennen. Warum soll man über Engel weniger laut sprechen als über Gott selbst? Warum soll man Engel auf bloße Botenfunktion beschränken und sie lediglich als geistige Kräfte ansehen? Haben sie etwa nicht dieselbe Personalität wie der Mensch? Wenn die Chöre der Engel singen, sind sie doch von großer Freude erfüllt. Und wenn ein Mensch Schaden an seiner Seele nimmt, wie sollte sein Schutzengel darüber nicht traurig sein?

Um die authentische Lehre der Kirche anzunehmen, bedarf es eines angemessenen Kirchenverständnisses. Ich glaube nicht, daß es genügt, Christus zu lieben, sondern man muß auch seine Kirche lieben. Die Kirche nämlich wird als sein mystischer Leib bezeichnet. Dieser umfaßt nicht nur die Gegenwart, sondern alle Jahrhunderte.

Nun ist es ein allgemeiner Glaubensgrundsatz, daß die Kirche von allem Anfang die volle Glaubenswahrheit besaß. Wenn Jesus sagte, der Hl. Geist wird euch in die ganze Wahrheit einführen (Joh 16,13), meinte er, daß das, was schon immer geglaubt wurde, in differenzierterer Form von der Kirche im Laufe ihrer Geschichte definiert wurde.

Ein weiteres kirchliches Prinzip besagt, daß das christlicher Wahrheit entspricht, was überall und zu allen Zeiten in der katholischen Kirche geglaubt wurde. Du selbst hast in deinem Vortrag, wenn ich mich recht entsinne, von den spirituellen Schätzen der Kirche gesprochen. Diese Schätze sind jedoch nicht lediglich als zeitbedingte Formen religiösen Kulturgutes anzusehen, worüber man erbaulich meditieren kann, sondern sie haben ihre Wurzeln in unverrückbaren Glaubenswahrheiten. Die religiösen Denkweisen und Lebensformen früherer Jahrhunderte bis zu den Anfängen des Christentums sind uns daher als heilsame Orientierungsmaßstäbe gegeben.

Der heutige Christ tendiert dazu, alle Lebenserscheinungen, auch den christlichen Glauben, seinem persönlichen Urteil zu unterwerfen und kirchlicher Lehre und Tradition mit vielen Vorbehalten zu begegnen. Damit überfordert er sich einerseits über alle Maßen, andererseits klammert er alles aus seinem Glaubensverständnis aus, was er als zu rigoros empfindet und früheren Fehlhaltungen anlastet. Deshalb scheint mir die Glaubenskraft vieler Katholiken ebenso weichlich zu sein wie das, was man vielfach vom Nazarenerstil denkt.

In Gottesdiensten hört man immer wieder die Aufforderung an die Gläubigen, in den Alltag hinauszugehen und ein positives Zeugnis ihres christlichen Glaubens zu geben. Wie soll dies aber möglich sein, wenn man sein Leben nicht bewußt nach christlichen Wahrheiten ausrichtet, oder wenn man dies zwar tut, aber sich scheut, von den Prinzipien zu reden, nach denen man lebt.

Ich glaube, wenn wir Salz der Erde sein wollen, müssen wir Mut zu Fundamentalismus haben, nämlich auf dem Fundament unserer Kirche zu stehen, der authentischen Interpretin des Evangeliums durch die Jahrhunderte. Unsere Zeit scheint jener nicht unähnlich zu sein, in der der hl. Paulus die Torheit des Kreuzes predigte. Eine fundamentale Haltung zu haben, bedeutet, unbeirrt an den zentralen Wahrheiten des Christentums festzuhalten angesichts einer Vielzahl säkularer Lebensformen, mit denen wir tagtäglich zu tun haben. Fundamentalismus in diesem Sinne bedeutet eine bewußte Abkehr vom Geist der Welt. Denn wenn der Christ nach Akzeptanz durch die Welt schielt, relativiert er bereits den Geist des Christentums. Vielmehr gilt es, zur Entschiedenheit der ersten Christen zurückzukehren, die der hl. Paulus ermahnt: Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist (Röm 12,2).

Der Katechismus bietet auch eine Darlegung der vier Kardinaltugenden und der drei göttlichen Tugenden. Sie befähigen den Christen, seine konkrete Lebensordnung und Lebensführung nach vernunftgemäßen Prinzipien auszurichten, wodurch eine wirkliche Einheit zwischen christlichem Glauben und konkretem Handeln entsteht. Von diesen Prinzipien können wir jedem gegenüber Rechenschaft geben, wenn es der Situation angemessen ist.

Du leistest wirklich Anerkennenswertes in "Bibel teilen" und im "ökumenischen Bibelkreis". Diese Veranstaltungen bieten die Möglichkeit, daß Christen Gedanken über biblische Inhalte und Themen austauschen. Vorausgesetzt wird freilich nur der gute Wille eines jeden Teilnehmers, die Frage nach der Wahrheit bleibt unausgesprochen. Diese demokratische Art, über religiöse Inhalte zu sprechen, kann durchaus gute Früchte tragen. Für die Glaubensvermittlung selbst scheint sie mir nicht auszureichen. Hier sollte die Liebe zur geschichtlichen Kirche Christi dazu antreiben, Glaubenswahrheiten nach der verbindlichen Lehre der Kirche zu verkünden.

Was das Thema über die Engel anlangt, so wurde darüber während der Kirchengeschichte vieles durch große Theologen, allen voran Thomas von Aquin (doctor angelicus) erörtert und durch Heilige bekannt. Wenn man diese "Schätze" der Kirche vermittelt, kann der Glaube an die Engel gestärkt werden.

Liebe Lydia, ich habe versucht, sowohl meinen eigenen Standpunkt darzulegen als auch dir Perspektiven aufzuzeigen, die mir für die glaubwürdige Verkündigung des Evangeliums erforderlich zu sein scheinen. Vielleicht kannst du dir daraus einige Anregungen entnehmen.

Anmerkung:

Auf einen guten Rat hin habe ich diesen Brief der Pastoralassistentin, die den Vortrag hielt (Name geändert), nicht übergeben, sondern versuche, diese Überlegungen für mich selbst nutzbar zu machen.

Der erwähnte Pater Anselm Grün hat zwei kleinere Bücher über Engel geschrieben:

Jeder Mensch hat einen Engel. Herder spektrum

50 Engel für das Jahr. Herder spektrum

Ich selbst möchte eine umfassende Darstellung der Engel nach der Lehre der katholischen Kirche und ihrer reichen Überlieferung aus dem Parvis Verlag empfehlen:

Anne Bernet, Die Engel. Unsere himmlischen Helfer

Erstellt:Oktober 2005

Inhalt