Catilinas Weg zum Revolutionär
L. Sergius Catilina war Patrizier, d.h., die gens Sergia war eines der uralten
Adelsgeschlechter, die gegenüber den plebejischen Adelsfamilien einen gewissen
Vorrang genossen. Catilinas gens hatte
im 5. Jahrhundert eine bedeutende Rolle gespielt, war aber später nicht mehr in
Erscheinung getreten und brachte erst wieder im 2. Jahrhundert Magistratsträger
hervor, von denen keiner über die Prätur hinaus gelangte.
Während des Bürgerkriegs (83-81) kämpfte Catilina
auf Seiten Sullas. Während der sich anschließenden Racheaktionen tat sich
Catilina durch unvorstellbare Grausamkeit hervor: Er tötete seinen Bruder, um
in dessen Besitz zu gelangen, und den Mann seiner Schwester. Einen Neffen des
Marius, M. Marius Gratidianus, zerrte er zum Grab eines Opfers der marianischen
Verfolgung und marterte ihn zu Tode.
Über die ersten beiden Stufen seiner politischen
Karriere (Quästur, Ädilität) zwischen 80 und 70 haben wir keine Nachrichten.
Wir können davon ausgehen, daß er, um seinen politischen Erfolg zu sichern,
sich als eingeschworener Senatsanhänger ausgab. Als Patrizier konnte er so bei
Wahlen auf seine Standesgenossen zählen. Entsprechend seiner satis eloquentiae wird er sich
tatkräftig für die Interessen des Senats eingesetzt haben. In einer Zeit, in
der sich die Senatsanhänger von der ständig wachsenden Macht der
Popularpolitiker Pompeius und Crassus bedroht fühlten, werden
Catilinas skandalöse Privataffären, z.B. mit der Vestalin Fabia, nicht allzu ernst genommen. Es wird ihm vielleicht nicht an
Bewunderern seiner physischen und psychischen Vitalität gefehlt haben.
Sicher war Catilina in den 70-er Jahren noch nicht
der Desperado seiner letzten Jahre. Wir können sogar annehmen, daß er um
seriöse Arbeit bemüht gewesen ist, um sich für höhere Ämter zu empfehlen,
vielleicht auch, um sein schuldbeladenes Gewissen zu entlasten. In all diesen
Jahren einschließlich seiner Prätur im Jahr 68 war er voller Zuversicht, das
höchste Amt der römischen Republik, das Konsulat, zu erringen.
Während es für Provinzstatthalter durchaus üblich
war, sich die Tasche zu füllen, trieb es Catilina in seiner Provinz Africa (67) so schlimm, daß sich die
Provinzbewohner in Rom beschwerten. Das Beispiel des Verres, der drei Jahre zuvor wegen Erpressung (repetundarum) dank Ciceros vernichtender Anklage verurteilt worden
war, hätte Catilina als Warnung dienen können. Als er sich ein Jahr nach seiner
Statthalterschaft um das Konsulat bewerben wollte, wurde er – noch vor der
offiziellen Anklage – von einem Senatsausschuß von der Bewerbung
ausgeschlossen. Auch im Jahr 65 konnte sich Catilina wegen des schwebenden
Verfahrens nicht bewerben. Der später berüchtigte Patrizier Publius Clodius Pulcher übernahm die
Anklage, scheint aber eher an einem Freispruch als einer Verurteilung
interessiert gewesen zu sein. Catilinas Freispruch – dank reichlicher
Bestechungsgelder – erfolgte im Herbst 65 gegen die Stimmen des senatorischen
Drittels des Richterkollegiums.
Daß ein Wahlerfolg Catilinas im folgenden Jahr 64
zu erwarten war, geht aus einem 65 verfaßten Brief Ciceros an seinen Freund Titus Pomponius Atticus hervor,
in dem er eine Verteidigung Catilinas erwog, um seine eigenen Chancen zu
verbessern (Cic.Att.I,11.1).
Von den 7 Konsulatsbewerbern des Jahres 64 waren
zwei Patrizier, vier plebejische Adelige, während Cicero dem Ritterstand
angehörte. Die Adeligen erkannten Ciceros überragendes Rednertalent zwar an,
wollten ihm jedoch als einem homo novus
das Konsulat verwehren. Catilina, der über das abweisende Verhalten seiner
Standesgenossen in der Bestechungsaffäre verbittert war und sich um seine
ersehnten Hoffnungen betrogen sah, hatte sich inzwischen der Popularenseite
angenähert. Als wenige Tage vor der Wahl bekannt wurde, daß Catilina und C.
Antonius, die ein Wahlbündnis (coitio)
eingegangen waren, von Crassus und Caesar (Gegner der Optimaten)
finanziell unterstützt wurden und zu massiv Wahlgelder verteilten, beschloß der
Senat ein verschärftes Gesetz gegen Wählerbestechung (ambitus). Als das Gesetz durch ein tribunizisches Veto verhindert
wurde, trat der empörte Senat zusammen und Cicero zog alle Register seiner
Redekunst, um die Unmoral seiner Gegner anzuprangern und sie als Schande ihres
Standes hinzustellen. So gelang es Cicero, von allen Centurien gewählt zu
werden, während Catilina seinem Bündnispartner Antonius knapp unterlag.
Seine Wahlniederlage gegen Cicero empfand Catilina
als Demütigung und unerträgliche Zurücksetzung. Die stete Verschiebung seiner
Hoffnungen auf die höchste Macht im Staat ließ ihn schließlich den Entschluß
fassen, mit Terroraktionen und militärischer Gewalt sein Ziel zu erreichen,
wenn er im folgenden Jahr 63 bei den Konsulatswahlen wieder scheitern sollte.
Inzwischen ließ er militärische Vorbereitungen in Etrurien anlaufen, wo es
viele Veteranen Sullas gab. Sein militärischer Organisator im etruskischen Faesulae war Gaius Manlius. Außerdem
sammelte er viele Unzufriedene, Abenteurer und kriminelle Existenzen als
Anhänger um sich (14). Sallust wundert sich, daß unter diesen Anhängern auch
junge Leute aus den angesehensten Familien waren (17,6). Catilina imponierte
diesen durch Ignorierung der Vätersitten und beißende Kritik an der Doppelmoral
der Senatsoligarchie. In geschickter Weise vermischte er Wahrheit mit Lüge und
stellte sich und seine Anhänger als Opfer weniger Machthungriger hin (20).
Die geheime Versammlung, die Catilina laut Sallust
am 1. Juni 64 einberief, fand in Wirklichkeit ein Jahr später statt. Durch
Fulvia, die Freundin eines Verschwörers (23), erfährt der Konsul Cicero
Einzelheiten über Catilinas Pläne und läßt den Wahltermin verschieben, um vom
Senat einen Ausschluß Catilinas von der Wahl zu erwirken. Dies gelingt ihm zwar
nicht, aber Catilina erleidet eine weitere Wahlniederlage.
In den folgenden Wochen des Septembers und Oktobers
erhält Cicero weitere Informationen von Fulvia, aber der Senat, der Cicero
Wichtigtuerei unterstellt, verhindert wirksame Gegenmaßnahmen. Erst als am 20.
Oktober Crassus anonyme Briefe vorlegt, worin vor Mordanschlägen gewarnt wird,
beschließt der Senat den Ausnahmezustand (videant
consules, ne quid res publica detrimenti capiat). Von da an gelten für Rom
und Italien verschärfte Sicherheitsbestimmungen.
Am 7. November entgeht Cicero einem Attentat, da er
von Fulvia rechtzeitig gewarnt worden ist. Cicero beruft den Senat ein, wo zum
Erstaunen aller auch Catilina erscheint. In einer glänzenden – improvisierten –
Rede veranlaßt Cicero Catilina, die Stadt zu verlassen, womit Catilinas
Umsturzpläne bestätigt werden.
Die
Geschichtswissenschaft tut sich schwer, die Bedeutung Catilinas richtig
einzustufen, da dessen Umsturzpläne letztlich vereitelt wurden. Allgemein
herrscht die Ansicht vor, Catilina habe wegen Sallusts Monographie und Ciceros
Neigung zu übermäßigem Selbstlob unverdiente Berühmtheit erlangt. Aber
hätte Catilina Erfolg gehabt, wäre ein blutiger Bürgerkrieg ausgebrochen. Dem homo novus Cicero ist zweifellos trotz
seiner ständiger Besorgnis um angemessene Würdigung seiner Verdienste Umsicht
und Tatkraft während seines Konsulats zu bescheinigen.