GLORIA IN EXCELSIS DEO ET

IN TERRA PAX HOMINIBUS BONAE VOLUNTATIS

Anmerkungen

Aus zeitlichen Gründen sind meine Anmerkungen sehr knapp gehalten.

1.       Die folgenden Anmerkungen betreffen vor allem die Bedeutung von HOMINIBUS BONAE VOLUNTATIS. Die Übersetzung "den Menschen seines Wohlgefallens" in der neuen Einheitsübersetzung ist abzulehnen, aus vielerlei Gründen.

Wie unsicher die Übersetzer sind, wird daraus erkennbar, daß sich die neue Einheitsübersetzung gegen die alte entschied: Dort hieß es:

Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erde ist Friede bei den Menschen seiner (?) Gnade.

Die neue Einheitsübersetzung kehrt zum Lobpreis zurück:

Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden den Menschen seines (?) Wohlgefallens.

2.       Die richtige Übersetzung ist die, für die sich der hl. HIERONYMUS in der VULGATA-Übersetzung des griechischen Wortes EUDOKIA entschieden hat: den Menschen guten Willens.

Warum läßt man es heutigen Exegeten einfach so durchgehen, daß sie ohne Bedenken sich über die Deutung des Vulgata-Übersetzers hinwegsetzen? Man hat sich fast daran gewöhnt, sich alles korrigiert vorsetzen zu lassen. Dabei hat Hieronymus die beiden Zeilen gar nicht selbst übersetzt, sondern sie aus einer früheren lateinischen Übersetzung, der VETUS LATINA übernommen, wie ein Wikipedia-Eintrag eigens vermerkt. Man wird doch im 21. Jahrhundert nicht behaupten können, eine Textpassage besser zu verstehen als Christen im 2. Jahrhundert. Denn gewiß wurde über die Bedeutung des Lobpreises der Engel genügend nachgedacht.

3.       Tatsächlich hat das Wort EUDOKIA zwei Bedeutungen: Wohlgefallen und guter Wille. Letztere Bedeutung wird im Philipperbrief 1,15 unwidersprochen aus der Vulgata übernommen:

Einige zwar predigen den Christus auch aus Neid und Streit, einige aber auch aus gutem Willen.

4.       Die Übersetzung "seiner Gnade" und "seines Wohlgefallens" ist eine gewaltsame Verfälschung! Denn der griechische Text enthält schlichtweg kein Possessivpronomen.

5.       Im dritten Band "Jesus von Nazareth" S. 83 übernimmt auch Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. leider die Vorbehalte von Theologen, die Übersetzung "guten Willens" sei "einseitig moralisierend". Es soll offensichtlich der Fehlvorstellung entgegengetreten werden, der Mensch könne aus eigenem Willen sein Heil wirken. Ob dies anderen Menschen unterstellt wird oder eigenen Überzeugungen entspricht, ist nicht zu entscheiden.

6.       Wer ist mit "den Menschen auf Erden" gemeint? In erster Linie die, die an Jesus Christus als den von Gott gesandten Retter glauben und seiner Lehre der Gottes- und Nächstenliebe folgen. Er hat darüber hinaus auch die Feindesliebe gepredigt, weil nur sie ermöglicht, daß die Menschen durch Versöhnung das ewige Heil erlangen. "Friede auf Erden" ist identisch mit dem "Reich Gottes", das Jesus verkündete. Frieden kann sich einerseits auf den wünschenswerten Seelenzustand des Einzelnen beziehen, andererseits ist er besonders auf Gemeinschaftsbemühung ausgerichtet.

Jesus Christus ist zwar der Erlöser aller Menschen, auch der Nichtchristen und der Nichtglaubenden, aber "den Menschen Frieden auf Erden" ist keine allgemeine Aussage, sondern gilt den Menschen, die durch den Dienst der von Jesus Christus gegründeten Kirche nach dem ewigen Heil streben und denen, die bereit sind, dem Beispiel seines vorbildlichen Lebens zu folgen.

7.       Der Lobgesang der Engel ist zweigeteilt und zwei entgegengesetzten Ebenen zugeordnet: dem Himmel (excelsis) und der Erde (terra). Der Lobpreis der Güte Gottes dafür, daß er den Retter gesandt hat, fordert zu einer Gottes Liebe erwidernde Lebensgestaltung auf. Der Friede ist somit kein Geschenk, das den Menschen in den Schoß fällt, sondern muß durch die Nachfolge Jesu errungen werden.

8.       Wie verhält sich Gottes Gnade (= liebende Zuwendung, Wohlwollen) zum freien Willen des Menschen? Gottes Wohlwollen kommt dem freien Willen des Menschen immer schon zuvor, dadurch, daß er den Geist des Menschen erleuchtet, ihn das Gute erkennen läßt und ihn zu gutem Handeln anregt. Freier Wille besagt daher Annahme oder Verweigerung heilsnotwendigen Erkennens und Handelns. Guter Wille ist unerläßlich, um das ewige Heil zu erlangen. Daß dieses auch verfehlt werden kann, das schmeckt heutigen Theologen und Verkündern des Evangeliums gar nicht, weswegen dieses Thema meist vermieden wird.

Der gute Wille als Voraussetzung des ewigen Heils gilt für alle Menschen, hat aber seinen besonderen Platz in der Heilsbedeutung der kirchlichen Sakramente, durch die der Mensch in der Heilsgnade Gottes steht. Für die Menschen, die sich bemühen, in der Gnade Gottes zu stehen – besonders durch Beichte und Eucharistie – bedeutet "guter Wille" Mitwirkung mit der Gnade Gottes. Der gute Wille gelangt dann zur vollen Wirkung, wenn der Mensch durch Dank-, Lob- und Bittgebet in stetiger Gemeinschaft mit Gott lebt. Der Christ betet, wie Jesus vor seinem Leiden: "Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe" (Lk 22,42). Den eigenen Willen dem göttlichen gleichförmig zu machen, ist Sinn der Vaterunser-Bitte "dein Wille geschehe". Gebet: Herr, stärke meine Willenskraft.

Friede auf Erden darf nicht einseitig horizontal gesehen werden, es hat einen notwendigen Bezug zum ewigen Schicksal des Menschen.

 

Erstellt: 2024

Reflexio