Papst Benedikt XVI.

Die Rede beim ökumenischen Treffen in der Krypta der St. Marys Cathedral in Sydney

18.7.2008

Liebe Brüder und Schwestern in Christus,

(...)

Australien ist ein von großer ethnischer und religiöser Verschiedenheit geprägtes Land. Einwanderer erreichen die Küsten dieses herrlichen Landes in der Hoffnung, Glück und Arbeitsmöglichkeiten zu finden. Ihr Land ist überdies eine Nation, die die Bedeutung der Religionsfreiheit anerkennt. Diese ist ein Grundrecht, das, wenn es geachtet wird, allen Bürgern erlaubt, auf der Grundlage von Werten zu handeln, die in ihren innersten Überzeugungen wurzeln, und somit zum Wohl der Gesellschaft beizutragen. Auf diese Weise arbeiten Christen zusammen mit Mitgliedern anderer Religionen an der Förderung der menschlichen Würde und an der Gemeinschaft unter allen Nationen.

Die Australier schätzen herzliche und freimütige Diskussionen. Das hat der ökumenischen Bewegung gute Dienste geleistet. Ein Beispiel ist das 2004 von den Mitgliedern des Nationalen Rates der Kirchen in Australien unterzeichnete Abkommen. Dieses Dokument anerkennt den gemeinsamen Einsatz, legt Ziele fest und benennt Punkte der Übereinstimmung, ohne dabei die Unterschiede zu vertuschen. Ein solcher Ansatz zeigt nicht nur die Möglichkeit, konkrete Beschlüsse für eine fruchtbare Zusammenarbeit in heutiger Zeit zu fassen, sondern auch die Notwendigkeit, die Diskussion über unterschiedliche theologische Standpunkte geduldig weiterzuführen. Ihre fortlaufenden Beratungen im Rat der Kirchen und in anderen örtlichen Foren mögen auf dem schon Erreichten aufbauen.

In diesem Jahr feiern wir den 2000. Jahrestag der Geburt des heiligen Paulus, der unermüdlich für die Einheit in der frühen Kirche gearbeitet hat. Im Wort der Heiligen Schrift, das wir soeben gehört haben, erinnert uns Paulus an die außerordentliche Gnade, die wir – eingegliedert in den Leib Christi – durch die Taufe empfangen haben. Das Sakrament der Taufe, Eingangstor zur Kirche und "Band der Einheit" für jeden, der durch sie wiedergeboren wird (vgl. Unitatis redintegratio, 22), ist folglich der Ausgangspunkt für die gesamte ökumenische Bewegung. Jedoch ist es nicht der letztendliche Zielpunkt. Der Weg der Ökumene weist letztlich in die Richtung einer gemeinsamen Feier der Eucharistie (vgl. Ut unum sint, 23–24; 45), die Christus seinen Aposteln als das Sakrament der kirchlichen Einheit par excellence anvertraut hat. Obwohl es noch Hindernisse gibt, die überwunden werden müssen, können wir sicher sein, dass eine gemeinsame Eucharistie eines Tages nur unser Bemühen stärken wird, in Nachahmung unseres Herrn einander zu lieben und zu dienen: Denn das Gebot Jesu "Tut dies zu meinem Gedächtnis" (Lk 22,19) ist in sich hingeordnet auf seine Ermahnung, "einander die Füße zu waschen" (Joh 13,14). Aus diesem Grund wird ein ehrlicher Dialog hinsichtlich des Ranges der Eucharistie – angeregt durch ein erneuertes und sorgfältiges Studium der Heiligen Schrift, der patristischen Schriften und der Dokumente aus zwei Jahrtausenden der christlichen Geschichte (vgl. Ut unum sint, 69–70) – zweifelsohne helfen, die ökumenische Bewegung voranzubringen und unser Zeugnis vor der Welt zu vereinigen.

Liebe Freunde in Christus, vielleicht seid auch ihr der Ansicht, dass die ökumenische Bewegung einen kritischen Augenblick erreicht hat. Um voranzuschreiten, müssen wir Gott fortwährend darum bitten, er möge unser Denken durch den Heiligen Geist erneuern (vgl. Röm 12,2), der durch die Heilige Schrift zu uns spricht und uns in die ganze Wahrheit führen wird (vgl. 2 Petr 1,20–21; Joh 16,13). Wir müssen uns vor jeglicher Versuchung in acht nehmen, die Glaubenslehre als trennend zu sehen und deshalb als Hindernis für die scheinbar dringlichere und unmittelbarere Aufgabe, die Welt, in der wir leben, zu verbessern. Tatsächlich zeigt uns die Kirchengeschichte, dass die Praxis mit der Didache (Lehre) nicht nur untrennbar verbunden ist, sondern aus ihr hervorgeht. Je stärker wir uns um ein tieferes Verständnis der göttlichen Geheimnisse bemühen, desto beredter werden unsere Werke der Nächstenliebe von der freigebigen Güte und Liebe Gottes zu allen sprechen. Der heilige Augustinus brachte die Verbindung zwischen der Gabe der Erkenntnis und der Tugend der Nächstenliebe zum Ausdruck, als er schrieb, dass der Geist durch die Liebe zu Gott zurückkehrt (vgl. De moribus Ecclesiae catholicae XII, 21) und dass, wo immer man Nächstenliebe erblickt, man die Dreifaltigkeit sieht (vgl. De Trinitate VIII, 8,12).

Aus diesem Grunde schreitet der ökumenische Dialog nicht nur durch einen Austausch von Ideen voran, sondern im Teilen der uns gegenseitig bereichernden Gaben (vgl. Ut unum sint, 28; 57). Eine "Idee" zielt auf Wahrheit, eine "Gabe" drückt Liebe aus. Beide sind wesentlich für den Dialog. Uns selbst zu öffnen, um von anderen Christen geistliche Gaben zu empfangen, regt unsere Fähigkeit an, das Licht der Wahrheit, die vom Heiligen Geist kommt, zu erkennen. Der heilige Paulus lehrt, dass wir innerhalb der koinonia der Kirche Zugang zur sicheren Wahrheit des Evangeliums haben, denn die Kirche ist "auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut", und Jesus selbst ist der Eckstein (Eph 2,20).

In diesem Lichte können wir vielleicht die beiden biblischen Bilder "Leib" und "Tempel" betrachten, die das Wesen der Kirche beschreiben und einander ergänzen. Im Gebrauch des Bildes vom Leib (vgl. 1 Kor 12,12–31) lenkt Paulus die Aufmerksamkeit auf die organische Einheit in Verschiedenheit, die der Kirche zu atmen und zu wachsen erlaubt. Aber ebenso bedeutungsvoll ist das Bild eines massiven, harmonisch gegliederten Tempels aus lebendigen Steinen, der sich auf sicherem Fundament erhebt. Jesus selbst bringt diese Bilder des "Tempels" und "Leibes" zur vollkommenen Einheit (vgl. Joh 2,21–22; Lk 23,45; Offb 21,22).

Jedes Element der Struktur der Kirche ist wichtig, doch alle würden ins Wanken geraten und einstürzen ohne den Eckstein, der Christus ist. Als "Mitbürger" und "Hausgenossen Gottes" müssen die Christen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass der Bau fest steht, so dass andere angezogen werden, einzutreten und die reichen Schätze der Gnade in seinem Inneren zu entdecken. Wenn wir christliche Werte fördern, dürfen wir es nicht unterlassen, ihre Quelle zu verkünden, indem wir ein gemeinsames Zeugnis von Jesus Christus, dem Herrn, geben. Er ist es, der die Apostel beauftragte, er ist es, den die Propheten verkündigten, und er ist es, den wir der Welt anbieten.

Liebe Freunde, eure Gegenwart erfüllt mich mit der innigen Hoffnung, dass wir, während wir zusammen den Weg zur vollen Einheit einschlagen, den Mut haben werden, ein gemeinsames Zeugnis für Christus abzulegen. Paulus spricht von der Bedeutung der Propheten in der frühen Kirche; auch wir empfingen durch unsere Taufe eine prophetische Berufung. Ich bin zuversichtlich, dass der Geist unsere Augen für die Gaben der anderen öffnen wird, unsere Herzen, um seine Kraft zu empfangen, und unseren Verstand, um das Licht der Wahrheit Christi zu erkennen. Euch allen bringe ich meinen herzlichen Dank zum Ausdruck für all die Zeit, die Wissenschaft und die Talente, die ihr für den "einen Leib und einen Geist" (Eph 4,4; vgl. 1 Kor 12,13) eingesetzt habt, den der Herr für sein Volk wollte und für den er sein Leben ganz hingab. Ihm sei alle Herrlichkeit und Kraft in alle Ewigkeit. Amen!

Übersetzung: Ralf van Bühren

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