Mutig den
Herausforderungen der Zeit stellen
Im Wortlaut die Rede von Papst Benedikt XVI. an die deutschen
Bischöfe während der Audienz am 10. November 2006
Meine Herren Kardinäle! Liebe Brüder im
Bischofsamt!
Ich bin dankbar, dass ich in den Einzelgesprächen mit Euch nicht
nur unsere persönliche Freundschaft und Verbundenheit vertiefen kann, sondern
vieles über die Lage in Euren Bistümern lernen darf. In den beiden Reden, mit
denen wir die persönlichen Begegnungen beschließen, möchte ich einige Aspekte
des kirchlichen Lebens hervorheben, die mir in dieser unserer geschichtlichen
Stunde besonders am Herzen liegen.
Die Bundesrepublik Deutschland teilt mit der ganzen westlichen
Welt die Situation einer von der Säkularisierung geprägten Kultur, in der Gott
immer mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet, die Einzigkeit der
Gestalt Christi verblasst und die von der kirchlichen Tradition geformten Werte
immer mehr an Wirkkraft verlieren. So wird auch für den Einzelnen der Glaube
schwieriger; die Beliebigkeit an Lebensentwürfen und Lebensgestaltungen nimmt
zu. Dieser Situation sehen sich Hirten wie Gläubige der Kirche
gegenübergestellt. Nicht wenige hat deshalb Mutlosigkeit und Resignation
befallen, Haltungen, die das Zeugnis für das befreiende und rettende Evangelium
Christi hindern. Ist das Christentum nicht am Ende doch auch nur eines von
vielen anderen Angeboten zur Sinnstiftung? So fragt sich manch einer. Zugleich
aber schauen angesichts der Brüchigkeit und Kurzlebigkeit der meisten dieser
Angebote viele wieder fragend und hoffend auf die christliche Botschaft und
erwarten von uns überzeugende Antworten.
Ich denke, die Kirche in Deutschland muss die so angedeutete
Situation als providentielle Herausforderung erkennen und sich ihr mutig
stellen. Wir Christen brauchen keine Angst vor der geistigen Konfrontation mit
einer Gesellschaft zu haben, hinter deren zur Schau gestellter intellektueller
Überlegenheit sich doch Ratlosigkeit angesichts der letzten existentiellen
Fragen verbirgt. Die Antworten, die die Kirche aus dem Evangelium des
menschgewordenen Logos schöpft, haben sich fürwahr in den geistigen
Auseinandersetzungen zweier Jahrtausende bewährt; sie sind von bleibender
Gültigkeit. Von diesem Bewusstsein bestärkt können wir zuversichtlich all denen
Rede und Antwort stehen, die uns nach dem Grund der Hoffnung fragen, die uns
erfüllt (vgl. 1 Petr 3, 15). Dies gilt auch für unseren Umgang mit den
Angehörigen anderer Religionen, vor allem den vielen Muslimen, die in
Deutschland leben, und denen wir mit Respekt und Wohlwollen begegnen. Gerade
sie, die an ihren religiösen Überzeugungen und Riten meist mit großem Ernst
festhalten, haben ein Recht auf unser demütiges und festes Zeugnis für Jesus
Christus. Um dieses mit Überzeugungskraft abzulegen, bedarf es freilich ernster
Bemühungen. Deshalb sollten an Orten mit zahlreicher muslimischer Bevölkerung
katholische Ansprechpartner zur Verfügung stehen, die die entsprechenden
sprachlichen und religionsgeschichtlichen Kenntnisse besitzen, die sie zum
Gespräch mit Muslimen befähigen. Ein solches Gespräch setzt freilich
zuallererst eine solide Kenntnis des eigenen katholischen Glaubens voraus.
Damit ist ein anderes – ganz zentrales – Thema angeschlagen: das
des Religionsunterrichts, der katholischen Schulen und der katholischen
Erwachsenenbildung. Dieser Bereich erfordert neue und besondere Aufmerksamkeit
seitens der Oberhirten. Da geht es zunächst um die Curricula für den Religionsunterricht,
die es am Katechismus der Katholischen Kirche auszurichten gilt, damit im Laufe
der Schulzeit das Ganze des Glaubens und der Lebensvollzüge der Kirche
vermittelt wird. In der Vergangenheit wurde nicht selten der Inhalt der
Katechese gegenüber den didaktischen Methoden in den Hintergrund gedrängt. Die
ganzheitliche und verständliche Vergegenwärtigung der Glaubensinhalte ist ein
entscheidender Gesichtspunkt bei der Genehmigung von Lehrbüchern für den
Religionsunterricht. Nicht minder wichtig ist auch die Treue der Lehrenden zum
Glauben der Kirche und ihre Teilnahme am liturgischen und pastoralen Leben der
Pfarreien oder kirchlichen Gemeinschaften, in deren Gebiet sie ihren Beruf
ausüben.
In den katholischen Schulen kommt es darüber hinaus darauf an,
dass Einführung in katholische Weltsicht und Glaubenspraxis sowie ganzheitliche
religiöse Persönlichkeitsbildung nicht nur im Religionsunterricht sondern im
gesamten Schulalltag – nicht zuletzt durch das persönliche Zeugnis der Lehrer –
überzeugend vermittelt werden. Eine ähnliche Bedeutung kommt den vielfältigen
Institutionen und Aktivitäten auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung zu. Hier
sollte besonderes Augenmerk auf die Wahl der Themen und Referenten gerichtet
werden, damit die zentralen Inhalte des Glaubens und der christlichen
Lebensgestaltung nicht hinter vordergründig aktuellen oder marginalen
Fragestellungen zurückbleiben.
Die umfassende und getreue Weitergabe des Glaubens in der Schule
und in der Erwachsenenbildung hängt ihrerseits maßgeblich von der Ausbildung
der Priesteramtskandidaten und Religionslehrer an den Theologischen Fakultäten
und Hochschulen ab. Da nun kann nicht genug betont werden, dass die Treue zum
Depositum fidei, wie es vom Lehramt der Kirche vorgelegt wird, die Voraussetzung
für seriöse theologische Forschung und Lehre schlechthin darstellt. Diese Treue
ist auch eine Forderung der intellektuellen Redlichkeit für jeden, der ein
akademisches Lehramt im Auftrag der Kirche ausübt. Den Bischöfen obliegt es
dabei, das oberhirtliche "Nihil obstat" nur nach gewissenhafter Prüfung zu
erteilen. Nur eine theologische Fakultät, die sich diesem Grundsatz
verpflichtet weiß, wird in der Lage sein, einen authentischen Beitrag zum
geistigen Austausch innerhalb der Universitäten zu leisten.
Lasst mich auch, verehrte Mitbrüder, von der Ausbildung in den
Priesterseminarien sprechen. Hierfür hat das Zweite Vatikanische Konzil in
seinem Dekret Optatam totius wichtige Normen erlassen, die leider noch nicht
voll verwirklicht sind. Dies gilt insbesondere von der Einrichtung des so
genannten Einführungskurses vor Beginn des eigentlichen Studiums. Dieser sollte
nicht nur die für das Studium von Philosophie und Theologie mit Nachdruck zu
fordernde solide Kenntnis der klassischen Sprachen vermitteln, sondern auch die
Vertrautheit mit dem Katechismus, mit der religiösen, liturgischen und
sakramentalen Praxis der Kirche. Angesichts der zunehmenden Zahl von
Interessenten und Kandidaten, die nicht mehr von einem traditionellen
katholischen Hintergrund herkommen, ist ein solches Einführungsjahr dringend
notwendig.
Darüber hinaus kann der Student in diesem Jahr bereits größere
Klarheit über seine Berufung zum Priestertum gewinnen. Andererseits erhalten
die für die Priesterausbildung Verantwortlichen die Möglichkeit, sich ein Bild
vom Kandidaten, von seiner menschlichen Reife und seinem Glaubensleben, zu
machen. Hingegen sind gruppendynamische Rollenspiele, Selbsterfahrungsgruppen
und andere psychologische Experimente weniger dazu geeignet und können eher
Verwirrung und Unsicherheit schaffen.
In diesem größeren Zusammenhang möchte ich Euch, liebe Brüder im
Bischofsamt, die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt besonders ans
Herz legen. In ihr besitzt das katholische Deutschland eine hervorragende
Stätte, an der eine Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen mit
Problemen auf hohem akademischen Niveau und im Lichte des katholischen Glaubens
geführt und eine geistige Elite herangebildet werden kann, die den
Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft im Geist des Evangeliums zu
begegnen vermag. Die finanzielle Sicherstellung der einzigen Katholischen
Universität Deutschlands sollte als eine Gemeinschaftsaufgabe aller deutschen
Diözesen erkannt werden, denn die damit verbundenen Lasten können in Zukunft nicht
allein von den Bayerischen Bistümern getragen werden, die gleichwohl eine
besondere Verantwortung für diese Universität behalten.
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf ein ebenso dringendes wie
emotional belastetes Problem eingehen: Es ist das Verhältnis von Priestern und
Laien bei der Erfüllung der Sendung der Kirche. Wie wichtig die aktive
Mitarbeit der Laien für das Leben der Kirche ist, erfahren wir in unserer
säkularen Kultur immer mehr. All den Laien, die die Kirche aus der Kraft der
Taufe lebendig mittragen, möchte ich von Herzen danken. Gerade weil das aktive
Zeugnis der Laien so wichtig ist, ist auch wichtig, dass die spezifischen
Sendungsprofile nicht vermischt werden. Die Predigt in der Heiligen Messe ist
ein an das Weiheamt gebundener Auftrag; wenn eine ausreichende Zahl von
Priestern und Diakonen anwesend ist, steht ihnen die Ausspendung der heiligen
Kommunion zu. Auch wird immer wieder der Anspruch auf von Laien auszuübende
pastorale Leitungsfunktionen erhoben.
Dabei dürfen wir die damit zusammenhängenden Fragen nicht nur im
Licht pastoraler Zweckmäßigkeiten erörtern, denn es geht hier um
Glaubenswahrheiten, nämlich um die von Jesus Christus gestiftete
sakramental-hierarchische Struktur Seiner Kirche. Da diese auf Seinem Willen
und die apostolische Vollmacht auf Seiner Sendung beruhen, sind sie dem
menschlichen Zugriff entzogen. Nur das Sakrament der Weihe befähigt den
Empfänger in persona Christi zu sprechen und zu handeln. Dies, verehrte
Mitbrüder, gilt es, mit aller Geduld und Lehrweisheit immer wieder
einzuschärfen und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! Die Kirche in Deutschland verfügt
über tiefe geistliche Wurzeln und über hervorragende Mittel zur Förderung des
Glaubens und zur Unterstützung bedürftiger Menschen im In- und Ausland. Die
Zahl der engagierten Gläubigen und auch die Qualität ihres Wirkens zum Wohle
von Kirche und Gesellschaft sind wahrlich bemerkenswert. Der Verwirklichung der
Sendung der Kirche dient auch die weitgehend gute Zusammenarbeit zwischen Staat
und Kirche zum Segen der Menschen in Deutschland.
Um der eingangs angesprochenen großen Herausforderung durch den
anhaltenden Säkularisierungsprozess adäquat begegnen zu können, muss die Kirche
in Deutschland vor allem die Kraft und Schönheit des katholischen Glaubens neu
sichtbar machen: um dies zu können, muss sie in der Gemeinschaft mit Christus
wachsen. Die Einheit der Bischöfe, des Klerus und der Laien untereinander und auch
mit der Weltkirche, besonders mit dem Nachfolger Petri, ist dabei von
fundamentaler Bedeutung. Möge die mächtige Fürsprache der Jungfrau und
Gottesmutter Maria, die in unserer deutschen Heimat so viele wunderbare
Heiligtümer besitzt, die Fürbitte des heiligen Bonifatius und aller Heiligen
unseres Landes Euch und den Gläubigen die Kraft und Ausdauer erwirken, um das
große Werk einer authentischen Erneuerung des Glaubenslebens in der Heimat in
Treue zu den universalkirchlichen Vorgaben mutig und vertrauensvoll
fortzusetzen. Dazu erteile ich Euch allen für die Aufgaben Eures Hirtendienstes
sowie auch allen Gläubigen in Deutschland von Herzen den Apostolischen Segen.