Vorlesung im Auditorium Maximum der Universität
Regensburg
über Glaube und Vernunft am
13.9.2006
Sehr geehrte Damen und Herren!
Es ist für mich ein bewegender Augenblick, noch einmal am
Pult der Universität zu stehen und noch einmal eine Vorlesung halten zu dürfen.
Meine Gedanken gehen dabei zurück in die Jahre, in denen ich an der Universität
Bonn nach einer schönen Periode an der Freisinger Hochschule meine Tätigkeit
als akademischer Lehrer aufgenommen habe.
Es war – 1959 – noch die Zeit der alten
Ordinarien-Universität. Für die einzelnen Lehrstühle gab es weder Assistenten
noch Schreibkräfte, dafür aber gab es eine sehr unmittelbare Begegnung mit den
Studenten und vor allem auch der Professoren untereinander. In den
Dozentenräumen traf man sich vor und nach den Vorlesungen. Die Kontakte mit den
Historikern, den Philosophen, den Philologen und natürlich auch zwischen beiden
Theologischen Fakultäten waren sehr lebendig.
Es gab jedes Semester einen sogenannten Dies academicus,
an dem sich Professoren aller Fakultäten den Studenten der gesamten Universität
vorstellten und so ein wirkliches Erleben von Universitas möglich wurde: Daß
wir in allen Spezialisierungen, die uns manchmal sprachlos füreinander machen,
doch ein Ganzes bilden und im Ganzen der einen Vernunft mit all ihren
Dimensionen arbeiten und so auch in einer gemeinschaftlichen Verantwortung für
den rechten Gebrauch der Vernunft stehen – das wurde erlebbar.
Die Universität war auch durchaus stolz auf ihre beiden
Theologischen Fakultäten. Es war klar, daß auch sie, indem sie nach der
Vernunft des Glaubens fragen, eine Arbeit tun, die notwendig zum Ganzen der
Universitas scientiarum gehört, auch wenn nicht alle den Glauben teilen
konnten, um dessen Zuordnung zur gemeinsamen Vernunft sich die Theologen mühen.
Dieser innere Zusammenhalt im Kosmos der Vernunft wurde
auch nicht gestört, als einmal verlautete, einer der Kollegen habe geäußert, an
unserer Universität gebe es etwas Merkwürdiges: zwei Fakultäten, die sich mit
etwas befaßten, was es gar nicht gebe – mit Gott. Daß es auch solch radikaler
Skepsis gegenüber notwendig und vernünftig bleibt, mit der Vernunft nach Gott
zu fragen und es im Zusammenhang der Überlieferung des christlichen Glaubens zu
tun, war im Ganzen der Universität unbestritten.
All dies ist mir wieder in den Sinn gekommen, als ich
kürzlich den von Professor Theodore Khoury (Münster) herausgegebenen Teil des
Dialogs las, den der gelehrte byzantinische Kaiser Manuel II. Palaeologos wohl
1391 im Winterlager zu Ankara mit einem gebildeten Perser über Christentum und
Islam und beider Wahrheit führte. Der Kaiser hat wohl während der Belagerung
von Konstantinopel zwischen 1394 und 1402 den Dialog aufgezeichnet; so versteht
man auch, daß seine eigenen Ausführungen sehr viel ausführlicher wiedergegeben
sind als die Antworten des persischen Gelehrten.
Der Dialog erstreckt sich über den ganzen Bereich des von
Bibel und Koran umschriebenen Glaubensgefüges und kreist besonders um das
Gottes-und das Menschenbild, aber auch immer wieder notwendigerweise um das
Verhältnis der "drei Gesetze": Altes Testament – Neues Testament – Koran.
In dieser Vorlesung möchte ich nur einen – im Aufbau des
Dialogs eher marginalen – Punkt behandeln, der mich im Zusammenhang des Themas
Glaube und Vernunft fasziniert hat und der mir als Ausgangspunkt für meine
Überlegungen zu diesem Thema dient.
In der von Professor Khoury herausgegebenen siebten
Gesprächsrunde (dialexis – Kontroverse) kommt der Kaiser auf das Thema des
Djihad (heiliger Krieg) zu sprechen. Der Kaiser wußte sicher, daß in Sure 2,
256 steht: Kein Zwang in Glaubenssachen – es ist eine der frühen Suren aus der
Zeit, in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war. Aber der Kaiser
kannte natürlich auch die im Koran niedergelegten – später entstandenen –
Bestimmungen über den heiligen Krieg.
Ohne sich auf Einzelheiten wie die unterschiedliche
Behandlung von "Schriftbesitzern" und "Ungläubigen" einzulassen, wendet er sich
in erstaunlich schroffer Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem
Verhältnis von Religion und Gewalt überhaupt an seinen Gesprächspartner. Er
sagt: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur
Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den
Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten".
Der Kaiser begründet dann eingehend, warum
Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum
Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. "Gott hat kein Gefallen am Blut, und
nicht vernunftgemäß (syn logo) zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der
Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben
führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht
aber Gewalt und Drohung… Um eine vernünftige Seele zu überzeugen, braucht man
nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die
man jemanden mit dem Tod bedrohen kann…".
Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen
Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen
Gottes zuwider. Der Herausgeber, Theodore Khoury, kommentiert dazu: Für den
Kaiser als einen in griechischer Philosophie aufgewachsenen Byzantiner ist
dieser Satz evident. Für die moslemische Lehre hingegen ist Gott absolut
transzendent. Sein Wille ist an keine unserer Kategorien gebunden und sei es
die der Vernünftigkeit.
Khoury zitiert dazu eine Arbeit des bekannten
französischen Islamologen R. Arnaldez, der darauf hinweist, daß Ibn Hazn so
weit gehe zu erklären, daß Gott auch nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei
und daß nichts ihn dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren. Wenn er es
wollte, müsse der Mensch auch Idolatrie treiben.
Die Transzendenz und die Andersheit Gottes werden so weit
übersteigert, daß auch unsere Vernunft, unser Sinn für das Wahre und Gute kein
wirklicher Spiegel Gottes mehr sind, dessen abgründige Möglichkeiten hinter
seinen tatsächlichen Entscheiden für uns ewig unzugänglich und verborgen
bleiben. Demgegenüber hat der kirchliche Glaube immer daran festgehalten, daß
es zwischen Gott und uns, zwischen seinem ewigen Schöpfergeist und unserer
geschaffenen Vernunft eine wirkliche Analogie gibt, in der zwar die
Unähnlichkeiten unendlich größer sind als die Ähnlichkeiten, daß aber eben doch
die Analogie und ihre Sprache nicht aufgehoben werden (vgl. Lat IV).
Gott wird nicht göttlicher dadurch, daß wir ihn in einen
reinen und undurchschaubaren Voluntarismus entrücken, sondern der wahrhaft
göttliche Gott ist der Gott, der sich als Logos gezeigt und als Logos liebend
für uns gehandelt hat und handelt. Gewiß, die Liebe "übersteigt" die Erkenntnis
und vermag daher mehr wahrzunehmen als das bloße Denken (vgl. Eph 3, 19), aber
sie bleibt doch Liebe des Gottes-Logos, weshalb christlicher Gottesdienst ?????
?at?e?a ist – Gottesdienst, der im Einklang mit dem ewigen Wort und mit unserer
Vernunft steht (vgl. Röm 12, 1).
Dieses hier angedeutete innere Zugehen aufeinander, das
sich zwischen biblischem Glauben und griechischem philosophischem Fragen
vollzogen hat, ist ein nicht nur religionsgeschichtlich, sondern
weltgeschichtlich entscheidender Vorgang, der uns auch heute in Pflicht nimmt. Wenn
man diese Begegnung sieht, ist es nicht verwunderlich, daß das Christentum
trotz seines Ursprungs und wichtiger Entfaltungen im Orient schließlich seine
geschichtlich entscheidende Prägung in Europa gefunden hat. Wir können auch
umgekehrt sagen: Diese Begegnung, zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt,
hat Europa geschaffen und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa
nennen kann.
Der These, daß das kritisch gereinigte griechische Erbe
wesentlich zum christlichen Glauben gehört, steht die Forderung nach der
Enthellenisierung des Christentums entgegen, die seit dem Beginn der Neuzeit
wachsend das theologische Ringen beherrscht. Wenn man näher zusieht, kann man
drei Wellen des Enthellenisierungsprogramms beobachten, die zwar miteinander
verbunden, aber in ihren Begründungen und Zielen doch deutlich voneinander
verschieden sind.
Die Enthellenisierung erscheint zuerst mit den
Grundanliegen der Reformation des 16. Jahrhunderts verknüpft. Die Reformatoren
sahen sich angesichts der theologischen Schultradition einer ganz von der
Philosophie her bestimmten Systematisierung des Glaubens gegenüber, sozusagen
einer Fremdbestimmung des Glaubens durch ein nicht aus ihm kommendes Denken. Der
Glaube erschien dabei nicht mehr als lebendiges geschichtliches Wort, sondern
eingehaust in ein philosophisches System. Das Sola Scriptura sucht demgegenüber
die reine Urgestalt des Glaubens, wie er im biblischen Wort ursprünglich da
ist.
Metaphysik erscheint als eine Vorgabe von anderswoher,
von der man den Glauben befreien muß, damit er ganz wieder er selber sein
könne. In einer für die Reformatoren nicht vorhersehbaren Radikalität hat Kant
mit seiner Aussage, er habe das Denken beiseite schaffen müssen, um dem Glauben
Platz zu machen, aus diesem Programm heraus gehandelt. Er hat dabei den Glauben
ausschließlich in der praktischen Vernunft verankert und ihm den Zugang zum
Ganzen der Wirklichkeit abgesprochen.
Die liberale Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts
brachte eine zweite Welle im Programm der Enthellenisierung mit sich, für die
Adolf von Harnack als herausragender Repräsentant steht. In der Zeit, als ich
studierte, wie in den frühen Jahren meines akademischen Wirkens war dieses
Programm auch in der katholischen Theologie kräftig am Werk.
Pascals Unterscheidung zwischen dem Gott der Philosophen
und dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs diente als Ausgangspunkt dafür. In
meiner Bonner Antrittsvorlesung von 1959 habe ich mich damit
auseinanderzusetzen versucht. Dies alles möchte ich hier nicht neu aufnehmen. Wohl
aber möchte ich wenigstens in aller Kürze versuchen, das unterscheidend Neue
dieser zweiten Enthellenisierungswelle gegenüber der ersten herauszustellen.
Als Kerngedanke erscheint bei Harnack die Rückkehr zum
einfachen Menschen Jesus und zu seiner einfachen Botschaft, die allen
Theologisierungen und eben auch Hellenisierungen voraus liege: Diese einfache
Botschaft stelle die wirkliche Höhe der religiösen Entwicklung der Menschheit
dar. Jesus habe den Kult zugunsten der Moral verabschiedet. Er wird im letzten
als Vater einer menschenfreundlichen moralischen Botschaft dargestellt.
Damit komme ich zum Schluß. Die eben in ganz groben Zügen
versuchte Selbstkritik der modernen Vernunft schließt ganz und gar nicht die
Auffassung ein, man müsse nun wieder hinter die Aufklärung zurückgehen und die
Einsichten der Moderne verabschieden.
Das Große der modernen Geistesentwicklung wird
ungeschmälert anerkannt: Wir alle sind dankbar für die großen Möglichkeiten,
die sie dem Menschen erschlossen hat und für die Fortschritte an
Menschlichkeit, die uns geschenkt wurden. Das Ethos der Wissenschaftlichkeit
ist im übrigen Wille zum Gehorsam gegenüber der Wahrheit und insofern Ausdruck
einer Grundhaltung, die zu den Grundentscheiden des Christlichen gehört.
Nicht Rücknahme, nicht negative Kritik ist gemeint,
sondern um Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und -gebrauchs geht es. Denn bei
aller Freude über die neuen Möglichkeiten des Menschen sehen wir auch die
Bedrohungen, die aus diesen Möglichkeiten aufsteigen und müssen uns fragen, wie
wir ihrer Herr werden können. Wir können es nur, wenn Vernunft und Glaube auf
neue Weise zueinanderfinden; wenn wir die selbstverfügte Beschränkung der
Vernunft auf das im Experiment Falsifizierbare überwinden und der Vernunft ihre
ganze Weite wieder eröffnen.
In diesem Sinn gehört Theologie nicht nur als historische
und humanwissenschaftliche Disziplin, sondern als eigentliche Theologie, als
Frage nach der Vernunft des Glaubens an die Universität und in ihren weiten
Dialog der Wissenschaften hinein.
Nur so werden wir auch zum wirklichen Dialog der Kulturen
und Religionen fähig, dessen wir so dringend bedürfen. In der westlichen Welt
herrscht weithin die Meinung, allein die positivistische Vernunft und die ihr
zugehörigen Formen der Philosophie seien universal. Aber von den tief
religiösen Kulturen der Welt wird gerade dieser Ausschluß des Göttlichen
aus der Universalität der Vernunft als Verstoß gegen ihre
innersten Überzeugungen angesehen.
Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und
Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der
Kulturen. Dabei trägt, wie ich zu zeigen versuchte, die moderne
naturwissenschaftliche Vernunft mit dem ihr innewohnenden platonischen Element
eine Frage in sich, die über sie und ihre methodischen Möglichkeiten
hinausweist.
Sie selber muß die rationale Struktur der Materie wie die
Korrespondenz zwischen unserem Geist und den in der Natur waltenden rationalen
Strukturen ganz einfach als Gegebenheit annehmen, auf der ihr methodischer Weg
beruht. Aber die Frage, warum dies so ist, die besteht doch und muß von der
Naturwissenschaft weitergegeben werden an andere Ebenen und Weisen des Denkens
– an Philosophie und Theologie.
Für die Philosophie und in anderer Weise für die
Theologie ist das Hören auf die großen Erfahrungen und Einsichten der
religiösen Traditionen der Menschheit, besonders aber des christlichen
Glaubens, eine Erkenntnisquelle, der sich zu verweigern eine unzulässige
Verengung unseres Hörens und Antwortens wäre.
Mir kommt da ein Wort des Sokrates an Phaidon in den
Sinn. In den vorangehenden Gesprächen hatte man viele falsche philosophische
Meinungen berührt, und nun sagt Sokrates: Es wäre wohl zu verstehen, wenn einer
aus Ärger über so viel Falsches sein übriges Leben lang alle Reden über das
Sein haßte und schmähte. Aber auf diese Weise würde er der Wahrheit des
Seienden verlustig gehen und einen sehr großen Schaden erleiden.
Der Westen ist seit langem von dieser Abneigung gegen die
grundlegenden Fragen seiner Vernunft bedroht und kann damit nur einen großen
Schaden erleiden. Mut zur Weite der Vernunft, nicht Absage an ihre Größe – das
ist das Programm, mit dem eine dem biblischen Glauben verpflichtete Theologie
in den Disput der Gegenwart eintritt. "Nicht vernunftgemäß (mit dem Logos)
handeln ist dem Wesen Gottes zuwider", hat Manuel II. von seinem
christlichen Gottesbild her zu seinem persischen
Gesprächspartner gesagt.
In diesen großen Logos, in diese Weite der Vernunft laden
wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein. Sie selber immer
wieder zu finden, ist die große Aufgabe der Universität.
Dabei geht es im Grunde darum, das Christentum wieder mit
der modernen Vernunft in Einklang zu bringen, eben indem man es von scheinbar
philosophischen und theologischen Elementen wie etwa dem Glauben an die
Gottheit Christi und die Dreieinheit Gottes befreie. Insofern ordnet die
historisch-kritische Auslegung des Neuen Testaments die Theologie wieder neu in
den Kosmos der Universität ein: Theologie ist für Harnack wesentlich historisch
und so streng wissenschaftlich. Was sie auf dem Weg der Kritik über Jesus
ermittelt, ist sozusagen Ausdruck der praktischen Vernunft und damit auch im
Ganzen der Universität vertretbar.
Im Hintergrund steht die neuzeitliche Selbstbeschränkung
der Vernunft, wie sie in Kants Kritiken klassischen Ausdruck gefunden hatte,
inzwischen aber vom naturwissenschaftlichen Denken weiter radikalisiert wurde. Diese
moderne Auffassung der Vernunft beruht auf einer durch den technischen Erfolg
bestätigten Synthese zwischen Platonismus (Cartesianismus) und Empirismus, um
es verkürzt zu sagen.
Auf der einen Seite wird die mathematische Struktur der
Materie, sozusagen ihre innere Rationalität vorausgesetzt, die es möglich
macht, sie in ihrer Wirkform zu verstehen und zu gebrauchen: Diese
Grundvoraussetzung ist sozusagen das platonische Element im modernen Naturverständnis.
Auf der anderen Seite geht es um die
Funktionalisierbarkeit der Natur für unsere Zwecke, wobei die Möglichkeit der
Verifizierung oder Falsifizierung im Experiment erst die entscheidende
Gewißheit liefert. Das Gewicht zwischen den beiden Polen kann je nachdem mehr
auf der einen oder der anderen Seite liegen. Ein so streng positivistischer
Denker wie J. Monod hat sich als überzeugter Platoniker bzw. Cartesianer
bezeichnet.
Dies bringt zwei für unsere Frage entscheidende
Grundorientierungen mit sich. Nur die im Zusammenspiel von Mathematik und
Empirie sich ergebende Form von Gewißheit gestattet es, von
Wissenschaftlichkeit zu sprechen. Was Wissenschaft sein will, muß sich diesem
Maßstab stellen. So versuchen dann auch die auf die menschlichen Dinge bezogenen
Wissenschaften wie Geschichte, Psychologie, Soziologie, Philosophie sich diesem
Kanon von Wissenschaftlichkeit anzunähern.
Wichtig für unsere Überlegungen ist aber noch, daß die
Methode als solche die Gottesfrage ausschließt und sie als unwissenschaftliche
oder vorwissenschaftliche Frage erscheinen läßt. Damit aber stehen wir vor
einer Verkürzung des Radius von Wissenschaft und Vernunft, die in Frage
gestellt werden muß. Darauf werden wir zurückkommen.
Einstweilen bleibt festzustellen, daß bei einem von
dieser Sichtweise her bestimmten Versuch, Theologie "wissenschaftlich" zu
erhalten, vom Christentum nur ein armseliges Fragmentstück übrigbleibt. Aber
wir müssen mehr sagen: Der Mensch selbst wird dabei verkürzt. Denn die
eigentlich menschlichen Fragen, die nach unserem Woher und Wohin, die Fragen
der Religion und des Ethos können dann nicht im Raum der gemeinsamen, von der
"Wissenschaft" umschriebenen Vernunft Platz finden und müssen ins Subjektive
verlegt werden.
Das Subjekt entscheidet mit seinen Erfahrungen, was ihm
religiös tragbar erscheint, und das subjektive "Gewissen" wird zur letztlich
einzigen ethischen Instanz. So aber verlieren Ethos und Religion ihre
gemeinschaftsbildende Kraft und verfallen der Beliebigkeit.
Dieser Zustand ist für die Menschheit gefährlich: Wir
sehen es an den uns bedrohenden Pathologien der Religion und der Vernunft, die
notwendig ausbrechen müssen, wo die Vernunft so verengt wird, daß ihr die
Fragen der Religion und des Ethos nicht mehr zugehören. Was an ethischen Versuchen
von den Regeln der Evolution oder von Psychologie und Soziologie her bleibt,
reicht ganz einfach nicht aus.
Bevor ich zu den Schlußfolgerungen komme, auf die ich mit
alledem hinaus will, muß ich noch kurz die dritte Enthellenisierungswelle
andeuten, die zurzeit umgeht. Angesichts der Begegnung mit der Vielheit der
Kulturen sagt man heute gern, die Synthese mit dem Griechentum, die sich in der
alten Kirche vollzogen habe, sei eine erste Inkulturation des Christlichen
gewesen, auf die man die anderen Kulturen nicht festlegen dürfe. Ihr Recht
müsse es sein, hinter diese Inkulturation zurückzugehen auf die einfache
Botschaft des Neuen Testaments, um sie in ihren Räumen jeweils neu zu
inkulturieren.
Diese These ist nicht einfach falsch, aber doch
vergröbert und ungenau. Denn das Neue Testament ist griechisch geschrieben und
trägt in sich selber die Berührung mit dem griechischen Geist, die in der
vorangegangenen Entwicklung des Alten Testaments gereift
war. Gewiß gibt es Schichten im Werdeprozeß der alten Kirche, die nicht in alle
Kulturen eingehen müssen. Aber die Grundentscheidungen, die eben den
Zusammenhang des Glaubens mit dem Suchen der menschlichen Vernunft betreffen,
die gehören zu diesem Glauben selbst und sind seine ihm gemäße Entfaltung.