Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am 16.9.09
Symeon der Neue
Theologe
Liebe Brüder und Schwestern!
Symeon trat in das Kloster der Studiten ein, wo ihm jedoch seine
mystischen Erfahrungen sowie die außergewöhnliche Verehrung, die er seinem
geistlichen Vater entgegenbrachte, Schwierigkeiten bereiteten. Er wechselte in das
kleine Kloster des heiligen Mamas über – ebenfalls in Konstantinopel –, dessen
Vorsteher (Hegumenos) er nach drei Jahren wurde. Dort suchte er intensiv nach
geistlicher Vereinigung mit Christus, was ihm große Autorität verlieh. Es ist
interessant festzustellen, dass ihm der Beiname „der Neue Theologe“ gegeben
wurde, obwohl von der Überlieferung her der Titel „Theologe“ zwei
Persönlichkeiten vorbehalten war: dem Evangelisten Johannes und Gregor von
Nazianz. Er litt darunter, dass man ihn falsch verstand und in die Verbannung
schickte, doch vom Patriarchen von Konstantinopel Sergios II. wurde er
rehabilitiert.
Symeon der Neue Theologe verbrachte die letzte Phase seines Lebens
im Kloster Sankt Marina, wo er einen großen Teil seiner Werke schrieb und
aufgrund seiner Lehre und seiner Wunder immer berühmter wurde. Er starb am 12.
März 1022.
Der bekannteste seiner Schüler, Niketas Stethatos, der die
Schriften Symeons gesammelt und kopiert hat, besorgte eine nachträgliche
Herausgabe, in deren Folge er die Biografie verfasste. Das Werk Symeons umfasst
neun Bände, die in theologische, gnostische und praktische Kapitel unterteilt
sind, drei Bände zur Katechese, die an die Mönche gerichtet sind, zwei Bände
mit theologischen und ethischen Abhandlungen und einen Band mit Hymnen.
Außerdem dürfen die zahlreichen Briefe nicht vergessen werden. Alle diese Werke
nehmen in der monastischen Tradition der Ostkirche bis zum heutigen Tag einen
wichtigen Platz ein.
Symeon konzentriert seine Überlegungen auf die Präsenz des
Heiligen Geistes in den Getauften und darauf, dass sie sich dieser geistlichen
Präsenz bewusst sein müssen. Das christliche Leben – so hebt er hervor – ist
enge und persönliche Gemeinschaft mit Gott; die göttliche Gnade erleuchtet das
Herz des Gläubigen und führt ihn zur mystischen Anschauung des Herrn. In diesem
Sinne besteht Symeon darauf, dass die wahre Kenntnis Gottes nicht aus Büchern
kommt, sondern aus der geistlichen Erfahrung, aus dem geistlichen Leben. Die
Kenntnis Gottes entspringt einem Weg der inneren Läuterung, der dank der Kraft
des Glaubens und der Liebe mit der Umkehr des Herzens beginnt; er führt durch
tiefe Reue über die eigenen Sünden und deren aufrichtiges Bedauern, um
schließlich zur Einheit mit Christus zu gelangen, dem Ursprung der Freude und des
Friedens, und vom Licht Seiner Gegenwart in uns durchdrungen zu sein. Für
Symeon stellt eine solche Erfahrung göttlicher Gnade kein außergewöhnliches
Geschenk an einige Mystiker dar, sondern sie ist Frucht der Taufe im Leben
jedes Gläubigen, der sich ernsthaft bemüht.
Ein Punkt über den man nachdenken sollte, liebe Brüder und
Schwestern! Dieser heilige Mönch der Ostkirche ruft uns alle dazu auf, auf das
geistliche Leben zu achten, auf die in uns verborgene Gegenwart Gottes, auf die
Aufrichtigkeit des Gewissens und auf die Läuterung, auf die Umkehr des Herzens,
damit der Heilige Geist wirklich in uns gegenwärtig werde und uns führe. Wenn
wir uns auch zu Recht um unser körperliches, menschliches und geistiges
Wachstum kümmern, so ist es doch noch wichtiger, dass wir das innere Wachstum
nicht vernachlässigen, das in der Erkenntnis Gottes besteht, in der wahren
Erkenntnis, die nicht nur aus Büchern bezogen wird, sondern innere Erkenntnis
ist, sowie in der Gemeinschaft mit Gott, um in jedem Moment und in jeder Lage
seine Hilfe zu erfahren. Im Grunde ist es das, was Symeon beschreibt, wenn er
über seine eigene mystische Erfahrung berichtet. Schon als junger Mann und vor
seinem Eintritt ins Kloster hatte er zu Hause in einer Nacht, in der er lange
gebetet und Gott um Hilfe im Kampf gegen die Versuchungen angerufen hatte, das
Zimmer von Licht erfüllt gesehen. Als er dann ins Kloster eintrat, bot man ihm
zu seiner Unterweisung geistliche Bücher an, doch ihre Lektüre brachte ihm
nicht den gesuchten Frieden. Er fühlte sich, so sagte er, wie ein armes
Vögelchen ohne Flügel. Er nahm diesen Zustand an, ohne sich aufzulehnen, und da
begannen die Lichtvisionen von neuem häufiger aufzutreten. Symeon, der sich
ihrer Echtheit versichern wollte, wendete sich direkt an Christus mit der
Frage: „Herr, bist wirklich du selbst hier?“ In seinem Herzen spürte er die
zustimmende Antwort erklingen und war darüber aufs höchste getröstet. „Das war,
Herr“ – so wird er später schreiben – „das erste Mal, dass du mich, den
verlorenen Sohn, für würdig befunden hast, deine Stimme zu hören.“ Dennoch
beruhigte ihn auch diese Offenbarung nicht vollständig. Er fragte sich
vielmehr, ob auch diese Erfahrung nicht eine Illusion gewesen sei. Eines Tages
schließlich trug sich ein für seine mystische Erfahrung entscheidendes Ereignis
zu. Er begann sich wie „ein Armer, der seine Brüder liebt“ (ptochós
philádelphos) zu fühlen. Um sich sah er zahlreiche Feinde, die ihm Fallen
stellen und ihn verletzen wollten, aber dennoch nahm er in sich selbst eine
heftige Anwandlung der Liebe zu ihnen wahr. Wie sollte man das erklären?
Offensichtlich konnte eine solche Liebe nicht von ihm selbst kommen, sondern
sie musste einer anderen Quelle entspringen. Symeon verstand, dass sie von
Christus ausging, der in ihm gegenwärtig war, und da wurde ihm alles klar: er
hatte den sicheren Beweis, dass die Quelle der Liebe in ihm die Gegenwart
Christi war und dass die Tatsache, eine Liebe in sich zu haben, die über die
eigenen Absichten hinausgeht, zeigt, dass die Quelle der Liebe in mir ist. So
können wir einerseits sagen, dass Christus ohne eine gewisse Öffnung zur Liebe
nicht in uns eintritt, dass Christus auf der anderen Seite aber Quelle der
Liebe wird und uns verwandelt. Liebe Freunde, diese Erfahrung bleibt auch heute
noch äußerst wichtig für uns, um die Kriterien zu finden, die uns anzeigen, ob
wir Gott wirklich nahe sind, ob Gott in uns lebt und gegenwärtig ist. Die Liebe
Gottes wächst in uns, wenn wir durch die Öffnung des Herzens, durch das Gebet
und das Hören auf sein Wort mit Ihm vereint bleiben. Nur die göttliche Liebe
sorgt dafür, dass wir unser Herz den anderen öffnen und macht uns für ihre Not
empfänglich, indem sie dafür sorgt, dass wir uns alle als Brüder und Schwestern
betrachten und indem sie uns dazu einlädt, mit Liebe auf den Hass und mit
Vergebung auf die Sünde zu antworten.
Wenn wir über die Figur des Symeon des Neuen Theologen nachdenken,
können wir noch ein weiteres Element seiner Spiritualität feststellen. Auf dem
Weg des asketischen Lebens, den er vorgeschlagen und zurückgelegt hat, verleiht
die große Aufmerksamkeit und Konzentration des Mönchs auf die innere Erfahrung
dem geistlichen Vater des Klosters eine grundlegende Bedeutung. Der junge
Symeon selbst hatte, wie gesagt, einen geistlichen Leiter gefunden, der ihm
viel geholfen hat und dessen er sich mit so hoher Wertschätzung erinnerte, dass
er ihm nach seinem Tod auch öffentliche Verehrung erwies. Und ich möchte sagen,
dass für alle – Priester, Ordensleute, Laien und vor allem die jungen Menschen
– die Aufforderung weiter Gültigkeit besitzt, den Rat eines guten geistlichen
Vaters zu suchen, der fähig ist, jeden in der tiefen Erkenntnis seiner selbst
zu begleiten und ihn zur Vereinigung mit dem Herrn zu führen, damit sich sein
Leben immer stärker nach dem Evangelium ausrichtet. Um dem Herrn
entgegenzugehen bedürfen wir immer einer Führung, eines Dialogs. Wir können es
nicht allein durch unsere Überlegungen schaffen. Und das ist auch der Sinn der
Kirchlichkeit unseres Glaubens: diese Führung zu finden.
Abschließend können wir die Lehre und die mystische Erfahrung
Symeons des Neuen Theologen auf folgende Weise zusammenfassen: In seiner
unablässigen Gottessuche hat er sich auch in den schwierigen Situationen, denen
er begegnete, und trotz der Kritik, deren Gegenstand er wurde, schließlich von
der Liebe führen lassen. Er wusste selbst zu leben und seinen Mönchen
beizubringen, dass das Wesentliche für jeden Jünger Christi darin besteht, in
der Liebe zu wachsen, und so wachsen wir in der Erkenntnis Christi, um mit dem
heiligen Paulus sagen zu können: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in
mir“ (Gal 2,20).