Papst Benedikt XVI. Generalaudienz am 2.2.11

Robert Bellarmin

Liebe Brüder und Schwestern!

Der heilige Robert Bellarmin, über den ich heute sprechen möchte, führt uns gedanklich in die Zeit der schmerzlichen Spaltung der abendländischen Christenheit zurück, während der eine schwere politische und religiöse Krise den Abfall ganzer Nationen vom Heiligen Stuhl verursachte.

Er wurde am 4. Oktober 1542 in Montepulciano bei Siena geboren und war mütterlicherseits Neffe von Papst Marcellus II.. Nachdem er eine ausgezeichnete humanistische Ausbildung empfangen hatte, trat er am 20. September 1560 in die Gesellschaft Jesu ein. Das Studium der Philosophie und der Theologie, das er am Collegium Romanum, in Padua und in Löwen absolvierte und bei dem er sich mit dem heiligen Thomas und den Kirchenvätern beschäftigte, war für seine theologische Orientierung entscheidend. Nachdem er am 25. März 1570 zum Priester geweiht worden war, wirkte er einige Jahre als Theologieprofessor in Löwen. Als er danach als Professor des Collegium Romanum nach Rom berufen wurde, vertraute man ihm den Lehrstuhl für Apologetik an; in dem Jahrzehnt, in dem er dieses Amt bekleidete (1576–1586), erarbeitete er eine Reihe von Vorlesungen, die dann in den „Controversiae“ zusammenflossen, einem Werk, das aufgrund seines klaren und reichhaltigen Inhalts und seines vorwiegend historischen Zuschnitts sofort berühmt wurde. Das Konzil von Trient war gerade zu Ende gegangen und die katholische Kirche musste auch angesichts der Reformation ihre Identität festigen und behaupten. Das Wirken Bellarmins fügte sich in diesen Kontext ein.

Von 1588 bis 1594 war er zunächst geistlicher Vater der Jesuitenschüler des Collegium Romanum – unter ihnen begegnete er dem heiligen Aloisius von Gonzaga und leitete ihn –, und dann Ordensoberer. Papst Clemens VIII. ernannte ihn zum päpstlichen Theologen, zum Konsultor des Heiligen Uffiziums, sowie zum Rektor des Kollegiums der Pönitentiare von St. Peter. Auf die beiden Jahre 1597 und 1598 geht sein Katechismus „Christianae doctrinae explicatio“ zurück, der seine bekannteste Arbeit war.

Am 3. März 1599 wurde er von Papst Clemens VIII. zum Kardinal und am 18. März 1602 zum Erzbischof von Capua ernannt. Er empfing die Bischofsweihe am 21. April desselben Jahres. In den drei Jahren, in denen er als Diözesanbischof tätig war, zeichnete er sich durch seinen Verkündigungseifer in seiner Kathedrale aus, durch seine wöchentlichen Besuche in den Gemeinden, durch drei Diözesansynoden und ein Provinzkonzil, das er ins Leben rief. Nachdem er an den Konklaven teilgenommen hatte, bei denen die Päpste Leo XI. und Paul V. gewählt worden waren, wurde er nach Rom zurückgerufen, wo er als Mitglied der Kongregationen des Heiligen Uffiziums, des Index, der Riten, der Bischöfe und der Verbreitung des Glaubens wirkte. Man betraute ihn auch mit diplomatischen Aufgaben bei der Republik Venedig und in England, um die Rechte des Heiligen Stuhles zu wahren. In seinen letzten Jahren verfasste er mehrere Bücher über Spiritualität, in denen er das Ergebnis seiner jährlichen geistlichen Exerzitien zusammenfasste. Aus ihrer Lektüre erfährt das christliche Volk noch heute große Erbauung. Er starb am 17. September 1621 in Rom. Papst Pius XI. sprach ihn 1923 selig, 1930 heilig und ernannte ihn 1931 zum Kirchenlehrer.

Der heilige Robert Bellarmin nahm in der Kirche der letzten Jahrzehnte des sechzehnten Jahrhunderts und der ersten Jahrzehnte des folgenden Jahrhunderts eine wichtige Rolle ein. Seine „Controversiae“ stellten in Bezug auf die Offenbarung, das Wesen der Kirche, die Sakramente und die theologische Anthropologie einen Bezugspunkt für die katholische Ekklesiologie dar, der immer noch gültig ist. In ihnen wird aufgrund der Irrtümer, die damals in diesen Fragen herrschten, der institutionelle Aspekt der Kirche hervorgehoben. Doch Bellarmin erklärte auch die unsichtbaren Aspekte der Kirche als mystischer Leib und illustrierte sie anhand des Vergleichs mit Leib und Seele, um die Beziehung zwischen dem inneren Reichtum der Kirche und den äußeren Aspekten, die sie erfahrbar machen, zu beschreiben. In diesem monumentalen Werk, das versucht, die verschiedenen theologischen Kontroversen der Zeit systematisch zu erfassen, vermeidet er jede polemische oder aggressive Haltung gegenüber den Vorstellungen der Reformation, sondern illustriert klar und eindrucksvoll die katholische Lehre, indem er die Argumente der Vernunft und der kirchlichen Tradition verwendet.

Doch sein Vermächtnis besteht in der Art und Weise, wie er seine Arbeit verstand. So hinderten ihn die schweren Leitungsämter nicht daran, täglich treu gegenüber seinen Anforderungen als Ordensmann, Priester und Bischof nach Heiligkeit zu streben. Aus dieser Treue leitete sich sein Einsatz in der Verkündigung ab. Da er als Priester und Bischof vor allem Seelenhirte war, fühlte er sich verpflichtet, eifrig zu predigen. Es gibt Hunderte von „Sermones“, von Predigten, die er bei liturgischen Feiern in Flandern, in Rom, in Neapel und in Capua gehalten hat. Nicht weniger zahlreich sind seine „expositiones“ und „explanationes“ an die Pfarrer, an die Ordensleute, an die Studenten des Collegium Romanum, die häufig die Heilige Schrift und vor allem die Briefe des heiligen Paulus zum Inhalt haben. Seine Verkündigung und seine Katechese weisen dieselbe Beschränkung auf das Wesentliche auf, die er während seiner jesuitischen Ausbildung gelernt hatte – ganz darauf ausgerichtet, die Kräfte der Seele auf Jesus, den Herrn, zu konzentrieren, der zutiefst erkannt, geliebt und nachgeahmt werden soll.

In den Schriften dieses Mannes der Leitung ist – bei aller Zurückhaltung, hinter der er seine Gefühle verbirgt – deutlich der Primat wahrzunehmen, den er der Lehre Christi einräumt. Der heilige Bellarmin bietet so ein Beispiel des Gebets, der Seele allen Handelns: ein Gebet, das auf das Wort des Herrn hört, das zufrieden ist, Seine Größe zu betrachten, das sich gerne Gott überlässt. Ein besonderes Merkmal der Spiritualität Bellarmins ist das lebhafte und persönliche Empfinden der unendlichen Güte Gottes, aufgrund derer unser Heiliger sich wirklich als geliebter Sohn Gottes empfand; die ruhige und einfache Sammlung im Gebet, in der Betrachtung Gottes, war ihm Quelle großer Freude. In seinem Buch „De ascensione mentis in Deum” – „Der Aufstieg des Geistes zu Gott“ –, das nach dem Muster des „Itinerarium“ des heiligen Bonaventura verfasst war, ruft er aus: „O Seele, Dein Vorbild ist Gott, unendliche Schönheit, Licht ohne Schatten, Glanz, der jenen der Sonne und des Mondes übersteigt. Erhebe die Augen zu Gott, in dem sich die Urformen aller Dinge finden und von dem, wie aus einer unendlich ertragreichen Quelle, diese nahezu unendliche Vielfalt der Dinge hervorgeht. Daraus musst du schließen: wer Gott findet, findet alles, wer Gott verliert, verliert alles.“

In diesem Text klingt das berühmte „contemplatio ad amorem obtineundum“ – Betrachtung, um die Liebe zu erlangen – aus den „Geistlichen Exerzitien“ des heiligen Ignatius von Loyola an. Bellarmin, der in der prunkvollen und häufig krankhaften Gesellschaft Ende des sechzehnten und Anfang des siebzehnten Jahrhunderts lebt, gewinnt aus dieser Betrachtung eine praktische Anwendung und mit lebhaftem pastoralem Gespür projiziert er die Situation der Kirche seiner Zeit darauf. In dem Buch „De arte bene moriendi“ – „Die Kunst gut zu sterben“ – etwa, gibt er als sichere Norm des guten Lebens und auch des guten Sterbens an, häufig und ernsthaft darüber nachzudenken, dass man sich vor Gott für seine Handlungen und seine Lebensführung verantworten müssen wird, und dass man versuchen soll, keinen Reichtum auf dieser Erde anzuhäufen, sondern einfach zu leben und seinen Nächsten zu lieben, um im Himmel Reichtümer anzuhäufen. In seinem Buch „De gemitu columbae“ – „Das Seufzen der Taube“, in dem die Taube für die Kirche steht – ruft er den Klerus und alle Gläubigen eindringlich zu einer persönlichen und konkreten Reform des eigenen Lebens auf, indem sie den Lehren der Heiligen Schrift und den Heiligen folgen, unter denen er vor allem den heiligen Gregor von Nazianz, den heiligen Johannes Chrysostomus, den heiligen Hieronymus und den heiligen Augustinus erwähnt sowie die großen Ordensgründer wie den heiligen Benedikt, den heiligen Dominikus und den heiligen Franziskus. Bellarmin lehrt in aller Deutlichkeit und durch das Beispiel seines Lebens, dass es keine wahre Reform der Kirche geben kann, ohne dass dieser unsere persönliche Reform und die Umkehr unseres Herzens vorausgeht.

Den Geistlichen Exerzitien des heiligen Ignatius entnahm Bellarmin Ratschläge, um auch den einfachsten Menschen auf eingehende Weise die Schönheit der Glaubensgeheimnisse zu vermitteln. Er schreibt: „Wenn Du weise bist, verstehst du, dass du zur Ehre Gottes und für dein ewiges Heil geschaffen bist. Das ist Dein Ziel, das ist das Zentrum deiner Seele, das ist der Schatz deines Herzens. Daher schätze das als wahrlich gut für dich, was dich zu deinem Ziel führt, und das als wahrlich schlecht, was dich hindert, es zu erreichen. Glückliche oder widrige Ereignisse, Reichtum und Armut, Gesundheit und Krankheit, Ehre und Schmach – der Weise soll sie weder um ihrer selbst willen suchen, noch vor ihnen fliehen. Sie sind nur gut und wünschenswert, wenn sie zur Ehre Gottes und zu deinem ewigen Glück beitragen, sie sind schlecht und zu meiden, wenn sie dies behindern“ (De ascensione mentis in Deum, grad. 1).

Das sind Worte, die nicht aus der Mode gekommen sind, sondern über die wir auch heute noch intensiv nachdenken müssen, um unserem Weg auf dieser Erde eine Orientierung zu geben. Sie rufen uns in Erinnerung, dass das Ziel unseres Lebens der Herr ist, der Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat, in dem Er uns weiterhin ruft und die Gemeinschaft mit Ihm verspricht. Sie rufen uns in Erinnerung, wie wichtig es ist, auf den Herrn zu vertrauen, uns in einem Leben, das dem Evangelium treu ist, zu verausgaben sowie mit dem Glauben und mit dem Gebet jede Situation und jedes Handeln in unserem Leben anzunehmen und zu erleuchten – immer auf die Gemeinschaft mit Ihm ausgerichtet. Danke.

 

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