Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am 5.8.09
Pfarrer von Ars
Liebe Brüder und Schwestern!
Jean-Marie Vianney wurde am
8. Mai 1786 in der kleinen Ortschaft Dardilly in einer Bauernfamilie geboren,
die zwar arm an materiellen Gütern, aber reich an Menschlichkeit und Glauben
war. Er wurde, wie es damals üblich war, gleich am Tag seiner Geburt getauft.
Während seiner Kinder- und Jugendjahre arbeitete er auf den Feldern und weidete
die Tiere, sodass er im Alter von siebzehn Jahren noch Analphabet war. Er
kannte jedoch die Gebete auswendig, die seine fromme Mutter ihm beigebracht
hatte und stärkte sich an der Gläubigkeit, die zu Hause gelebt wurde. Die
Biographen berichten, dass er von frühester Jugend an versuchte, auch in den
kleinsten Aufgaben dem göttlichen Willen zu entsprechen. In seiner Seele hegte
er den Wunsch Priester zu werden, doch es war nicht einfach für ihn, diesen zu
erfüllen. Nachdem er einiges Unverständnis und nicht wenige Beschwerden
überwunden hatte, wurde er schließlich geweiht – dank der Hilfe kluger
Priester, welche nicht nur seine menschlichen Grenzen sahen, sondern darüber
hinauszublicken vermochten und den Horizont der Heiligkeit ahnten, der sich in
diesem wirklich außergewöhnlichen jungen Mann abzeichnete. So wurde er am 23.
Juni 1815 zum Diakon geweiht und am darauffolgenden 13. August zum Priester. Im
Alter von 29 Jahren konnte er schließlich nach vielen Ungewissheiten, nicht
wenigen Misserfolgen und vielen Tränen zum Altar des Herrn hinaufsteigen und
den Traum seines Lebens verwirklichen.
Der heilige Pfarrer von Ars brachte dem empfangenen Geschenk immer äußerst große
Achtung entgegen. Er sagte: „O, wie groß ist doch das Priestertum! Man wird es
erst im Himmel richtig verstehen... wenn man es auf der Erde schon verstünde,
dann würde man sterben – nicht vor Schreck, sondern aus Liebe!“ (Abbé Monnin,
Esprit du Curé d'Ars, S. 113). Außerdem hatte er als Kind seiner Mutter
anvertraut: „Wenn ich Priester wäre, würde ich gerne viele Seelen gewinnen“
(Abbé Monnin, Proces de l'ordinaire, S. 1064). Und so geschah es. In seinem
ebenso schlichten wie außergewöhnlich fruchtbaren Hirtendienst gelang es diesem
unbekannten Pfarrer eines abgelegenen Dorfes in Südfrankreich, sich so sehr in
sein eigenes Amt hineinzufühlen, dass er auch auf sichtbare und universal
erkennbare Weise „alter Christus“, das Bild des Guten Hirten wurde, der im
Gegensatz zum Tagelöhner sein Leben für die Schafe hingibt (vgl. Joh 10, 11).
Dem Beispiel des Guten Hirten folgend hat er sein Leben in den Jahrzehnten
seines priesterlichen Dienstes hingegeben. Sein Dasein war lebendige Katechese,
die eine ganz besondere Wirkung erreichte, wenn die Menschen ihn die Messe
zelebrieren, ihn in Anbetung vor dem Tabernakel verweilen oder viele Stunden im
Beichtstuhl verbringen sahen.
Den Mittelpunkt seines
ganzen Lebens bildete also die Eucharistie, die er andächtig und respektvoll
feierte und anbetete. Eine weitere fundamentale Eigenschaft dieser
außergewöhnlichen Priestergestalt war die fleißige Abnahme der Beichte. In der
Praxis des Bußsakraments erkannte er die logische und natürliche Erfüllung des
priesterlichen Apostolats, gehorsam gegenüber dem Auftrag Christi: „Wem ihr die
Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem
ist sie verweigert“ (Joh 20, 23). Der heilige Jean-Marie Vianney zeichnete sich
daher als ausgezeichneter und unermüdlicher Beichtvater und geistlicher
Lehrmeister aus. Indem er sich „in einer einzigen inneren Bewegung vom Altar
zum Beichtstuhl“ bewegte, wo er einen großen Teil des Tages verbrachte,
versuchte er auf alle Arten, durch Predigt und überzeugenden Ratschlag die
Mitglieder seiner Pfarrei die Bedeutung und die Schönheit der sakramentalen
Buße neu entdecken zu lassen, indem er sie als eine mit der eucharistischen
Gegenwart innerlich verbundene Notwendigkeit darstellte (vgl. Schreiben an die
Priester zum Priesterjahr).
Die pastoralen Methoden des
heiligen Jean-Marie Vianney könnten für die derzeitigen gesellschaftlichen und
kulturellen Bedingungen als wenig geeignet erscheinen. Wie könnte schließlich
ein Priester es ihm heute, in einer so sehr veränderten Welt nachtun? Wenn sich
auch die Zeiten ändern und viele Charismen charakteristisch für eine Person und
somit einmalig sind, gibt es doch eine Lebensform und ein grundsätzliches
Streben, die zu pflegen wir alle aufgerufen sind. Bei
genauem Hinschauen war es die demütige Treue gegenüber seinem Auftrag, zu dem
Gott ihn berufen hatte, die den Pfarrer von Ars heilig machte; die Tatsache,
dass er sich ständig, von Vertrauen erfüllt, den Händen der Göttlichen
Vorsehung überließ. Es gelang ihm weder dank seiner eigenen menschlichen Gaben,
noch indem er sich ausschließlich auf eine wenn auch lobenswerte
Willensanstrengung stützte, das Herz der Menschen zu berühren; er eroberte die
Seelen – auch die unempfänglichsten – indem er ihnen das vermittelte, was er
zutiefst lebte, nämlich seine Freundschaft mit Christus. Er war in Christus
„verliebt“, und das wahre Geheimnis seines pastoralen Erfolgs war die Liebe,
die er für das verkündete, zelebrierte und gelebte eucharistische Geheimnis
hegte, das Liebe für die Herde Christi geworden ist, für die Christen und für alle
Menschen die Gott suchen. Sein Zeugnis ruft uns in Erinnerung, liebe Brüder und
Schwestern, dass die Eucharistie für jeden Getauften und umso mehr noch für
jeden Priester „nicht einfach ein Geschehen mit zwei Protagonisten ist, ein
Dialog zwischen Gott und mir. Die eucharistische Gemeinschaft zielt auf eine
völlige Verwandlung des eigenen Lebens ab. Mit Macht öffnet sie das ganze Ich
des Menschen und schafft ein neues Uns“ (Joseph Ratzinger, La Communione nella
Chiesa, S. 80).
Weit davon entfernt, die Gestalt
des heiligen Jean-Marie Vianney auf ein – wenn auch bewundernswertes – Beispiel
frommer Spiritualität des neunzehnten Jahrhunderts zu reduzieren, muss man im
Gegenteil die prophetische Kraft erfassen, die seine menschliche und
priesterliche Persönlichkeit von höchster Aktualität auszeichnet. Im
nachrevolutionären Frankreich, das eine Art „Diktatur des Rationalismus“
erlebte, die darauf ausgerichtet war, die Präsenz der Priester und der Kirche
in der Gesellschaft auszumerzen, lebte er seinen Glauben zunächst, in seinen
Jugendjahren, tapfer in der Verborgenheit und legte in der Nacht Kilometer
zurück, um an der heiligen Messe teilzunehmen. Als Priester zeichnete er sich
dann durch eine besondere und fruchtbringende pastorale Kreativität aus, die in
der Lage war aufzuzeigen, dass der damals herrschende Rationalismus in
Wirklichkeit weit davon entfernt war, die wirklichen Bedürfnisse des Menschen
zu erfüllen und somit letztlich nicht menschengerecht war.
Liebe Brüder und
Schwestern, einhundertfünfzig Jahre nach dem Tod des heiligen Pfarrers von Ars,
sind die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft nicht weniger anstrengend,
ja, sie sind vielleicht sogar noch vielschichtiger geworden. Wenn es damals die
„Diktatur des Rationalismus“ gab, so ist heute in vielen Bereichen eine Art
„Diktatur des Relativismus“ festzustellen. Beide scheinen keine angemessene
Antwort auf die berechtigte Forderung des Menschen zu geben, die eigene
Vernunft als entscheidendes und konstitutives Element der eigenen Identität
voll auszuschöpfen. Der Rationalismus war ungeeignet, weil er die menschlichen
Grenzen nicht berücksichtigte und verlangte, die Vernunft allein zum Maß aller
Dinge zu erheben, indem er sie in eine Göttin verwandelte; der zeitgenössische
Relativismus setzt die Vernunft herab, weil er tatsächlich am Ende behauptet,
dass der Mensch über den konkreten wissenschaftlichen Bereich hinaus nichts mit
Gewissheit erkennen kann. Heute wie damals jedoch ist der Mensch „begierig nach
Sinn und Erfüllung“, stets auf der Suche nach erschöpfenden Antworten auf die
grundlegenden Fragen, die er sich unaufhörlich stellt.
Die Konzilsväter des
Zweiten Vatikanischen Konzils waren sich dieses „Hungers nach Wahrheit“, der im
Herzen jedes Menschen brennt, deutlich bewusst, als sie erklärten, dass es „den
Priestern als Erziehern im Glauben“ obliegt, eine „echte christliche
Gemeinschaft“ zu bilden, die in der Lage ist, „allen Menschen den Weg zu
Christus zu ebnen“ und ihnen gegenüber „eine echte Mütterlichkeit“ zu zeigen,
dadurch, dass sie „denen, die noch nicht glauben, den Weg zu Christus weist und
bahnt“ sowie „die Gläubigen anregt, stärkt und zum geistlichen Kampf rüstet“
(vgl. Presbyterorum ordinis, 6).
Die Lehre, die uns der
heilige Pfarrer von Ars in dieser Hinsicht auch weiterhin vermittelt, ist, dass
der Priester die enge personale Einheit mit Christus – die zu pflegen und Tag
für Tag zu vergrößern ist – zur Grundlage dieser pastoralen Aufgabe machen
muss. Nur wenn er in Christus verliebt ist, wird der Priester allen diese
Einheit beibringen können, diese enge Freundschaft mit dem göttlichen Meister,
nur so wird er die Herzen der Menschen berühren und sie für die barmherzige
Liebe des Herrn öffnen können. Nur so folglich wird er in den Gemeinden, die
der Herr ihm anvertraut, Begeisterung und geistliche Lebendigkeit hervorrufen
können. Beten wir darum, dass Gott auf die Fürsprache des heiligen Jean-Marie
Vianney seiner Kirche heilige Priester schenke und dass in den Gläubigen der
Wunsch wachse, ihr Amt zu unterstützen und ihnen zu helfen. Vertrauen wir
dieses Anliegen Maria an, die wir am heutigen Tag als Maria Schnee anrufen.