Papst Benedikt XVI. Generalaudienz am 29.9.10

Mechthild von Hackeborn

Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich über die heilige Mechthild von Hackeborn sprechen, eine der großen Gestalten des Klosters von Helfta, die im dreizehnten Jahrhundert gelebt hat. Ihre Mitschwester, die heilige Gertrud die Große, schreibt im VI. Buch des Werkes „Liber specialis gratiae“ (Buch der besonderen Gnade), in dem über die besonderen Gnaden berichtet wird, die Gott der heiligen Mechthild gewährt hat: „Was wir geschrieben haben ist wenig, verglichen mit dem, was wir ausgelassen haben. Einzig zur Ehre Gottes und zum Wohl unseres Nächsten veröffentlichen wir diese Dinge, denn es erschiene uns ungerecht, Schweigen zu bewahren über so viele Gnaden, die Mechthild von Gott empfangen hat – nicht so sehr für sich selbst, unserer Ansicht nach, als vielmehr für uns und für die, die nach uns kommen“ (Mechthild von Hackeborn, Liber specialis gratiae, VI, 1).

Dieses Buch wurde von der heiligen Gertrud sowie von einer weiteren Mitschwester in Helfta verfasst und hat eine besondere Geschichte. Mechthild durchlebte im Alter von fünfzig Jahren eine schwere geistliche Krise, die mit physischen Schmerzen verbunden war. In diesem Zustand vertraute sie zwei befreundeten Mitschwestern die besonderen Gnaden an, mit denen Gott sie seit ihrer Kindheit geführt hatte, doch sie wusste nicht, dass die beiden alles aufschrieben. Als sie davon erfuhr, war sie zutiefst beunruhigt und bestürzt. Der Herr jedoch beruhigte sie und gab ihr zu verstehen, dass das Geschriebene zur Ehre Gottes und zum Wohl ihres Nächsten gereichte (vgl. ebd. II,25; V,20). So wurde dieses Werk zur wichtigsten Quelle, aus der wir Angaben über das Leben und die Spiritualität unserer Heiligen schöpfen können.

Mit ihr werden wir in das Leben der Familie des Barons von Hackeborn eingeführt, einer der angesehensten, reichsten und mächtigsten Familien Thüringens – verwandt mit Kaiser Friedrich II. –, und mit ihr betreten wir das Kloster von Helfta in der glanzvollsten Periode seiner Geschichte. Der Baron hatte dem Kloster bereits eine Tochter überlassen, Gertrud von Hackeborn (1231/1232–1291/1292), die mit ihrer starken Persönlichkeit dem Kloster vierzig Jahre lang als Äbtissin vorstand. Sie verstand es, der Spiritualität des Klosters eine besondere Prägung zu verleihen und es zu einer außerordentlichen Blüte als Zentrum der Mystik und der Kultur sowie als Stätte wissenschaftlicher und theologischer Bildung zu führen. Gertrud bot den Schwestern eine gehobene geistige Ausbildung an, die ihnen erlaubte, eine Spiritualität zu pflegen, die auf der Heiligen Schrift, auf der Liturgie, auf der patristischen Überlieferung sowie auf der Regel und der Spiritualität der Zisterzienser gründete, mit besonderer Berücksichtigung des heiligen Bernhard von Clairvaux und Wilhelms von Saint-Thierry. Sie war eine wirkliche Lehrmeisterin, beispielhaft in allem, in der Radikalität des Evangeliums und in ihrem apostolischen Eifer. Mechthild, die von Kindheit an das von der Schwester geschaffene geistliche und kulturelle Klima genoss und aufnahm, verlieh diesem schließlich auch ihre persönliche Prägung.

Mechthild wird 1241 oder 1242 auf der Burg Helfta geboren; sie ist die dritte Tochter des Barons. Im Alter von sieben Jahren besucht sie mit ihrer Mutter die Schwester Gertrud im Kloster Rodersdorf. Sie ist so fasziniert von diesem Ambiente, dass sie den glühenden Wunsch verspürt, dazuzugehören. Sie tritt als Zögling ein und wird 1258 Ordensschwester im Kloster, das in der Zwischenzeit nach Helfta – Grundbesitz der Hackeborns – umgesiedelt ist. Sie zeichnet sich aus durch Bescheidenheit, Eifer, Liebenswürdigkeit, ein reines und unschuldiges Leben sowie durch die Vertrautheit und Intensität, mit der sie ihre Beziehung zu Gott, zur Jungfrau Maria und zu den Heiligen lebt. Sie verfügt über ausgeprägte natürliche und geistliche Qualitäten, wie „Wissen, Intelligenz, die Kenntnis der Humaniora, eine Stimme von wunderbarer Schönheit: all das machte sie für das Kloster in jeder Hinsicht zu einem wahren Reichtum“ (ebd. Proömium). So wird die „Nachtigall Gottes“ – wie sie genannt wird – in noch äußerst jungen Jahren Vorsteherin der Klosterschule, Leiterin des Chores und Novizenmeisterin, Aufgaben, die sie mit Talent und unermüdlichem Eifer erfüllt, nicht nur zum Nutzen der Ordensfrauen, sondern aller, die von ihrer Weisheit und Güte schöpfen wollten.

Erleuchtet durch die göttliche Gabe der mystischen Kontemplation verfasst Mechthild zahlreiche Gebete. Sie ist Lehrerin der wahren Glaubenslehre und großer Demut, Ratgeberin, Trostspenderin, geistliche Führerin bei der Entscheidungsfindung: „Sie – so heißt es – teilte die Lehre mit solcher Fülle aus, wie man es niemals im Kloster erlebt hatte; und wir fürchten – leider! – dass wir nie mehr etwas ähnliches erleben werden. Die Schwestern versammelten sich um sie, wie um einen Prediger, um das Wort Gottes zu hören. Sie war Zufluchtsort und Trostspenderin für alle, und sie hatte aufgrund einer einzigartigen Gabe Gottes die Gnade, die innersten Geheimnisse eines jeden aufzudecken. Viele Menschen, nicht nur des Klosters, sondern auch Fremde, geistliche wie weltliche, die von weither kamen, bezeugten, dass diese heiligmäßige Jungfrau sie von ihren Qualen befreit hatte, und dass sie niemals so großen Trost erfahren hatten wie bei ihr. Sie verfasste und lehrte zudem so viele Gebete, dass diese, wenn man sie zusammenstellen würde, von größerem Umfange wären, als ein Psalter“ (ebd. VI,1).

1261 kommt ein Mädchen von fünf Jahren namens Gertrud ins Kloster: sie wird der Fürsorge der kaum zwanzigjährigen Mechthild anvertraut, die sie im geistlichen Leben erzieht und führt, bis Gertrud nicht nur eine ausgezeichnete Schülerin sondern ihre Vertraute wird. 1271 oder 1272 tritt auch Mechthild von Magdeburg in das Kloster ein. Der Ort nimmt so vier große Frauen auf – zwei mit dem Namen Gertrud und zwei mit dem Namen Mechthild –, und wird zu einem Glanzpunkt des deutschen Klosterlebens. In ihrem langen Leben im Kloster leidet Mechthild unter ständigen und starken Schmerzen, zu denen die äußerst harten Bußübungen kommen, die sie sich zur Bekehrung der Sünder auferlegt. Auf diese Weise hat sie bis zum Ende ihres Lebens Anteil am Leiden des Herrn (vgl. ebd. VI, 2). Gebet und Kontemplation sind der Nährboden ihres Daseins: die Offenbarungen, ihre Lehre, ihr Dienst am Nächsten, ihr Weg im Glauben und in der Liebe sind hier verwurzelt und hiermit verwoben. Im ersten Buch des Werkes „Liber specialis gratiae“ stellen die Verfasserinnen Aussagen zusammen, die Mechthild ihnen bei den Festen des Herrn, der Heiligen und vor allem der seligen Jungfrau Maria anvertraut hatte. Die Fähigkeit dieser Heiligen, die Liturgie in ihren verschiedenen Komponenten – auch den einfachsten – zu leben, indem sie diese in den klösterlichen Alltag integriert, ist beeindruckend. Einige Bilder, Ausdrücke oder Anwendungen mögen unserem Empfinden manchmal fremd erscheinen, doch wenn man das Klosterleben und ihre Aufgabe als Lehrmeisterin und Chorleiterin betrachtet, erfasst man ihre einzigartige Begabung zur Erzieherin und Ausbilderin, die den Mitschwestern hilft, von der Liturgie ausgehend jeden Augenblick des Klosterlebens auf intensive Weise zu erfahren.

Im liturgischen Gebet hebt Mechthild das Stundengebet, die Feier der Heiligen Messe und vor allem die heilige Kommunion besonders hervor. Hier ist sie häufig in eine enge Vertrautheit mit dem Herrn in seinem glühenden und süßen Herzen entrückt, in einem wunderbaren Dialog, in dem sie um innere Erleuchtung bittet, während sie sich besonders für ihre Gemeinschaft und ihre Mitschwestern verwendet. Im Mittelpunkt stehen die Geheimnisse Christi, auf welche die Jungfrau Maria beständig verweist, um dem Weg zur Heiligkeit zu folgen: „Wenn du nach wahrer Heiligkeit verlangst, dann verweile bei meinem Sohn; Er ist die Heiligkeit selbst, die alles heiligt“ (ebd. I, 40). In dieser ihrer Vertrautheit mit Gott ist die ganze Welt gegenwärtig, die Kirche, die Wohltäter, die Sünder. Für sie vereinen sich Himmel und Erde.

Ihre Visionen, ihre Lehre und die Ereignisse ihres Lebens werden mit Worten beschrieben, die an die Sprache der Liturgie und der Bibel erinnern. So erfasst man ihre tiefe Kenntnis der Heiligen Schrift, ihr tägliches Brot. Sie nimmt stets auf die Schrift Bezug, sei es durch die Erklärung der biblischen Texte, die während des Gottesdienstes gelesen wurden, sei es, indem sie aus ihr Symbole, Ausdrücke, Landschaften, Bilder und Personen schöpft. Ihre Vorliebe gilt dem Evangelium: „Die Worte des Evangeliums waren für sie eine wunderbare Stärkung und riefen in ihrem Herzen Gefühle von solcher Süße hervor, dass sie häufig vor Begeisterung die Lesung nicht beenden konnte... Sie las diese Worte mit solch glühender Begeisterung vor, dass sie in allen ein Gefühl der Andacht hervorrief. Auch wenn sie im Chor sang, war sie ganz in Gott versunken, von solcher Leidenschaft getragen, dass sie manchmal ihre Gefühle durch Gesten zum Ausdruck brachte... Andere Male war sie wie entrückt und hörte nicht, dass man sie rief oder zu bewegen versuchte, und gewann nur schwer das Empfinden für ihre Umgebung zurück“ (ebd. VI, 1). In einer ihrer Visionen empfiehlt Jesus selbst ihr das Evangelium; indem er die Wunde seines heiligsten Herzens öffnet sagt er zu ihr: „Sieh, wie unendlich groß meine Liebe ist; wenn du sie genau erkennen willst, wirst du sie an keinem Ort klarer ausgedrückt finden als im Evangelium. Niemand hat jemals stärkere und zärtlichere Empfindungen zum Ausdruck bringen hören, als diese: Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt“ (Joh 15,9)“ (ebd., 1,22).

Liebe Freunde, das persönliche und liturgische Gebet, vor allem das Stundengebet und die Heilige Messe, bilden den Ursprung der spirituellen Erfahrung der heiligen Mechthild von Hackeborn. Indem sie sich von der Heiligen Schrift führen und vom Eucharistischen Brot stärken ließ, hat sie einen Weg enger Vereinigung mit dem Herrn verfolgt, stets in vollkommener Treue zur Kirche. Das ist auch für uns eine klare Aufforderung, unsere Freundschaft mit dem Herrn zu verstärken, vor allem durch das tägliche Gebet sowie durch die aufmerksame, andächtige und aktive Teilnahme an der Heiligen Messe. Die Liturgie ist eine große Schule der Spiritualität.

Ihre Schülerin Gertrud beschreibt mit eindringlichen Worten die letzten Momente im Leben der heiligen Mechthild von Hackeborn, die äußerst schwierig waren, aber erleuchtet von der Gegenwart der heiligsten Dreifaltigkeit, des Herrn, der Jungfrau Maria, aller Heiligen, sowie auch ihrer leiblichen Schwester Gertrud. Als die Stunde kam, in welcher der Herr sie zu sich holen wollte, bat sie ihn, zur Rettung der Seelen noch weiter leiden zu dürfen, und Jesus hatte Freude an diesem letzten Zeichen der Liebe. Mechthild wurde 58 Jahre alt. Ihre letzte Wegstrecke war von acht Jahren schwerer Krankheit gezeichnet. Ihr Werk und der Ruf ihrer Heiligkeit verbreiteten sich weithin. Als ihre Stunde gekommen war, „rief sie der Herr, voll Majestät... einziges Entzücken der Seele, die ihn liebt...: Venite vos, benedicti Patris mei. Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz... und nahm sie auf in seine Herrlichkeit“ (ebd. VI,8).

Die heilige Mechthild von Hackeborn vertraut uns dem Heiligsten Herzen Jesu und der Jungfrau Maria an. Sie fordert dazu auf, den Sohn mit dem Herzen der Mutter und Maria mit dem Herzen des Sohnes zu preisen: „Ich grüße Euch, o verehrteste Jungfrau Maria, in jenem süßesten Tau, der vom Herzen der heiligsten Dreifaltigkeit aus in Euch hineingeflossen ist; ich grüße Euch in der Herrlichkeit und in der Wonne, derer Ihr euch nun auf ewig erfreut, Ihr, die Ihr noch vor der Erschaffung der Welt aus allen Geschöpfen des Himmels und der Erde besonders erwählt wurdet! Amen“ (ebd. I,45).

 

Textverzeichnis