Papst Benedikt XVI.: Ansprache während der Generalaudienz am 1.12.2010:

Birgitta von Schweden

Liebe Brüder und Schwestern!

Im Vorfeld des Großen Jubiläums 2000 hat der ehrwürdige Diener Gottes Papst Johannes Paul II. Birgitta von Schweden zur Mitpatronin Europas erklärt. Am heutigen Vormittag möchte ich über ihre Gestalt, über ihre Botschaft und über die Gründe sprechen, warum diese heilige Frau der Kirche und der Welt auch heute noch viel zu sagen hat.

Die Ereignisse aus dem Leben der heiligen Birgitta sind uns gut bekannt, da ihre geistlichen Väter ihre Biografie verfasst haben, um den Heiligsprechungsprozess gleich nach ihrem Tod, der im Jahr 1373 erfolgt war, zu fördern. Birgitta war siebzig Jahre zuvor im Jahr 1303 in Finsta in Schweden geboren, einer Nation Nordeuropas, die seit drei Jahrhunderten den christlichen Glauben mit derselben Begeisterung lebte, mit der ihn die Heilige von ihren Eltern empfangen hatte, äußerst gottesfürchtigen Menschen, die dem Herrscherhaus nahestehenden adeligen Familien angehörten. Wir können zwei Abschnitte im Leben dieser Heiligen ausmachen.

Der erste ist durch ihre Stellung als glücklich verheiratete Frau gekennzeichnet. Ihr Mann hieß Ulf und stand einem wichtigen Bezirk des schwedischen Reiches vor. Die Ehe dauerte achtundzwanzig Jahre, bis zum Tod von Ulf. Acht Kinder wurden geboren, von denen die Zweitälteste, Karin, als Heilige verehrt wird. Das ist ein beredtes Zeichen für das erzieherische Bemühen Birgittas hinsichtlich ihrer Kinder. Ihre pädagogische Weisheit wurde so hoch geschätzt, dass König Magnus von Schweden sie für eine gewisse Zeit mit der Absicht an den Hof berief, seine junge Frau Blanca von Namur in die schwedische Kultur einzuführen.

Birgitta, die von einem gelehrten Geistlichen, der sie in das Studium der Schrift einführte, spirituell gelenkt wurde, übte einen äußerst positiven Einfluss auf ihre Familie aus, die dank ihrer Gegenwart eine wirkliche „Hauskirche“ wurde. Gemeinsam mit ihrem Mann nahm sie die Regel des Dritten Ordens der Franziskaner an. Großzügig unterstützte sie die Notleidenden durch Werke der Nächstenliebe; zudem gründete sie ein Hospital. An der Seite seiner Frau lernte Ulf, seinen Charakter zu bessern und im christlichen Leben voranzuschreiten. Nach der Rückkehr von einer langen Pilgerreise nach Santiago de Compostela, die sie 1341 gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Familie unternommen hatten, reifte in den Eheleuten der Plan, in Enthaltsamkeit zu leben; doch kurz darauf schied Ulf im Frieden eines Klosters, in das er sich zurückgezogen hatte, aus dieser Welt.

Dieser erste Abschnitt im Leben Birgittas hilft uns, das zu würdigen, was wir heute als eine echte „Ehespiritualität“ bezeichnen könnten: Gemeinsam können die christlichen Eheleute, unterstützt von der Gnade des Ehesakraments, einen Weg der Heiligkeit beschreiten. Nicht selten ist es – gerade wie im Leben der heiligen Birgitta und Ulfs – die Frau, der es mit ihrem religiösen Empfinden, ihrem Feingefühl und ihrer Sanftheit gelingt, ihren Mann einen Weg des Glaubens beschreiten zu lassen. Ich denke voller Dankbarkeit an zahlreiche Frauen, die Tag für Tag auch heute noch ihre Familien durch ihr Zeugnis christlichen Lebens erleuchten. Möge der Geist des Herrn auch heute die Heiligkeit christlicher Eheleute hervorrufen, um der Welt die Schönheit einer nach den Werten des Evangeliums gelebten Ehe zu zeigen: Liebe, Zärtlichkeit, gegenseitige Unterstützung, das Zeugen und Erziehen von Kindern, Öffnung und Solidarität gegenüber der Welt, Teilhabe am Leben der Kirche.

Nachdem Birgitta Witwe geworden war, begann der zweite Abschnitt ihres Lebens. Sie verzichtete auf eine weitere Heirat, um durch Gebet, Buße und Werke der Nächstenliebe die Vereinigung mit dem Herrn zu vertiefen. Auch die christlichen Witwen finden also in dieser Heiligen ein Vorbild, dem sie folgen können. Birgitta ließ sich, nachdem sie nach dem Tod ihres Mannes ihren Besitz an die Armen verteilt hatte, im Zisterzienserkloster Alvastra nieder, wenngleich sie nie die Ordensweihe empfing. Hier begannen die göttlichen Offenbarungen, die sie für den Rest ihres Lebens begleiten sollten. Birgitta diktierte sie ihren Beichtvätern, die gleichzeitig ihre Sekretäre waren, welche sie dann aus dem Schwedischen ins Lateinische übersetzten und in einer Ausgabe von acht Büchern mit dem Titel „Revelationes“ (Offenbarungen) zusammenfassten. Zu diesen Büchern kommt eine Ergänzung hinzu, deren Titel „Revelationes extravagantes“ (Zusätzliche Offenbarungen) lautet.

Die „Offenbarungen“ der heiligen Birgitta weisen einen äußerst vielfältigen Inhalt und Stil auf. Manchmal stellt sich die Offenbarung in der Gestalt eines Dialogs zwischen den göttlichen Personen, der Jungfrau Maria, den Heiligen und auch dem Teufel dar; Dialoge, an denen auch Birgitta teilnimmt. Andere Male hingegen handelt es sich um die Erzählung einer besonderen Vision; und wieder andere Male wird berichtet, was die Jungfrau Maria ihr über das Leben und die Geheimnisse des Sohnes offenbart. Der Wert der „Offenbarungen“ der heiligen Birgitta, die gelegentlich Gegenstand gewisser Zweifel waren, ist durch den ehrwürdigen Diener Gottes Johannes Paul II. in seinem Brief „Spes aedificandi“ genauer bestimmt worden: „Die Kirche hat, als sie die Heiligkeit Birgittas anerkannte, die Authentizität ihrer inneren Erfahrung insgesamt gebilligt, auch ohne sich zu den einzelnen Offenbarungen zu äußern“ (vgl. Nr. 5).

Tatsächlich werden uns, wenn wir diese „Offenbarungen“ lesen, viele wichtige Themen in Erinnerung gerufen. So findet sich beispielsweise häufig – mit ziemlich realistischen Einzelheiten – die Beschreibung der Passion Christi, für die Birgitta immer eine besondere Verehrung hegte, da sie in ihr die unendliche Liebe Gottes zu den Menschen betrachten konnte. Auf die Lippen des Herrn, der zu ihr spricht, legt sie kühn die bewegenden Worte: „O meine Freunde, so zärtlich liebe ich die Schafe, dass ich, wenn es möglich wäre, noch einmal für jedes einzelne Schaf, um es nicht entbehren zu müssen, sondern wieder einzulösen, einen besonderen Tod sterben möchte, wie ich denselben schon einmal am Kreuze für alle erlitten habe“ (Revelationes, Libro I, c. 59). Auch die schmerzhafte Mutterschaft Marias, durch die sie zur Vermittlerin und Mutter der Barmherzigkeit wurde, ist ein Thema, das häufig in den „Offenbarungen“ auftaucht.

Birgitta war sich bewusst, durch den Empfang dieser Charismen ein Geschenk besonderer Liebe seitens des Herrn zu erhalten: „Du aber, meine Tochter, – so lesen wir im ersten Buch der „Offenbarungen“ – die ich mir erwählet..., sollst mich von ganzem Herzen lieben,... mehr als irgend etwas in der Welt“ (c.1). Im übrigen wusste Birgitta genau und war zutiefst davon überzeugt, dass jedes Charisma zur Erbauung der Kirche bestimmt ist. Gerade aus diesem Grund waren nicht wenige der Offenbarungen – auch in Form strenger Ermahnungen – an die Gläubigen ihrer Zeit, einschließlich der religiösen und politischen Obrigkeiten, gerichtet, auf dass sie ein konsequent christliches Leben führten; sie tat dies jedoch immer in einer Haltung des Respekts und vollkommener Treue gegenüber dem Lehramt der Kirche und vor allem gegenüber dem Nachfolger des Apostels Petrus.

Im Jahr 1349 verließ Birgitta Schweden für immer und begab sich auf eine Pilgerreise nach Rom. Sie wollte nicht nur am Jubiläumsjahr 1350 teilnehmen, sondern auch vom Papst die Anerkennung für die Regel eines Ordens erhalten, den sie zu gründen beabsichtigte; er sollte dem heiligsten Erlöser geweiht sein und sich aus Ordensmännern und Ordensfrauen unter der Leitung einer Oberin zusammensetzen. Das ist ein Umstand, der uns nicht verwundern sollte: Im Mittelalter gab es Ordensgründungen mit einem männlichen und einem weiblichen Zweig, die derselben Ordensregel folgten, welche die Leitung einer Oberin vorsah. Tatsächlich wird in der großen christlichen Tradition der Frau eine eigene Würde und – immer nach dem Vorbild Marias, der Königin der Apostel – ein eigener Platz in der Kirche zuerkannt, der, ohne mit dem Weihepriestertum zusammenzufallen, ebenso wichtig für das geistliche Wachstum der Gemeinschaft ist. Darüber hinaus kommt der Zusammenarbeit von geweihten Männern und Frauen – immer im Hinblick auf ihre besondere Berufung – in der heutigen Welt eine große Bedeutung zu.

In Rom widmete sich Birgitta gemeinsam mit ihrer Tochter Karin einem Leben intensiven Apostolats und Gebets. Von Rom aus pilgerte sie zu verschiedenen italienischen Heiligtümern, vor allem nach Assisi, der Heimat des heiligen Franziskus, den Birgitta stets sehr verehrte. Im Jahr 1371 erfüllte sie sich schließlich ihren größten Wunsch: die Reise in das Heilige Land, wohin sie sich gemeinsam mit ihren geistlichen Kindern begab, einer Gruppe, die Birgitta „die Freunde Gottes“ nannte.

Während jener Jahre befanden sich die Päpste in großer Ferne von Rom, in Avignon: Kummervoll wandte sich Birgitta mit der Bitte an sie, zum Sitz Petri in die Ewige Stadt zurückzukehren.

Sie starb im Jahr 1373, bevor Papst Gregor XI. endgültig nach Rom zurückkehrte. Sie wurde vorübergehend in der römischen Kirche San Lorenzo in Panisperna beigesetzt, doch 1374 brachten ihre Kinder Birger und Karin sie in ihre Heimat zurück, in das Kloster in Vadstena, den Sitz des von der heiligen Birgitta gegründeten Ordens, der sogleich eine beträchtliche Ausbreitung erfuhr. 1391 wurde sie von Papst Bonifaz IX. heiliggesprochen.

Die Heiligkeit Birgittas, die sich durch eine Vielfalt an Gaben und Erfahrungen auszeichnete, die ich in diesem kurzen biografisch-spirituellen Porträt in Erinnerung rufen wollte, macht sie zu einer herausragenden Gestalt in der Geschichte Europas. Aus Skandinavien stammend bezeugt die heilige Birgitta, wie das Christentum zutiefst das Leben aller Völker dieses Kontinents durchdrungen hat. Indem Papst Johannes Paul II. sie zur Mitpatronin Europas erklärte, wollte er, dass die heilige Birgitta – die im vierzehnten Jahrhundert gelebt hat, als die westliche Christenheit noch nicht durch die Spaltung verletzt war – auf wirksame Weise bei Gott Fürsprache einlegen möge, um die so sehr erwartete Gnade der vollen Einheit aller Christen zu erwirken. Für dieselbe Absicht, die uns so sehr am Herzen liegt, und dafür, dass Europa immer aus seinen christlichen Wurzeln Stärke zu ziehen wisse, wollen wir, liebe Brüder und Schwestern, beten und um die mächtige Fürsprache der heiligen Birgitta von Schweden bitten, der treuen Jüngerin Gottes und Mitpatronin Europas. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

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