Generalaudienz am 7. Juni
2006
Petrus (3)
Liebe Brüder und Schwestern!
Diese Tatsache nimmt besondere Bedeutung an, wenn man bedenkt, daß
im Alten Testament die Namensänderung im allgemeinen der Übertragung einer
Sendung vorausging (vgl. Gen 17,5; 32,28ff.; usw.). Tatsächlich gibt es
zahlreiche Hinweise auf den Willen Christi, Petrus eine besondere Stellung
innerhalb des Apostelkollegiums zu geben: In Kafarnaum geht der Meister in das
Haus des Petrus, um dort zu übernachten (vgl. Mk 1,29); als sich das Volk am
Ufer des Sees Gennesaret um ihn drängt, wählt Jesus von den beiden dort
liegenden Booten das Boot des Simon aus (vgl. Lk 5,3); wenn Jesus sich in
besonderen Situationen nur von drei Jüngern begleiten läßt, wird Petrus stets
als erster der Gruppe erwähnt: so bei der Auferweckung der Tochter des Jairus
(vgl. Mk 5,37; Lk 8,51), bei der Verklärung (vgl. Mk 9,2; Mt 17,1; Lk 9,28) und
schließlich während der Agonie im Garten Getsemani (vgl. Mk 14,33; Mt 26,37).
Und weiter: An Petrus wenden sich die Steuereintreiber des Tempels, und der
Meister zahlt nur für sich und für ihn (vgl. Mt 17,24–27); dem Petrus wäscht
Jesus beim Letzten Abendmahl als erstem die Füße (vgl. Joh 13,6), und nur für
ihn betet er, damit sein Glaube nicht erlischt und er dann die anderen Jünger
im Glauben stärken kann (vgl. Lk 22,30–31).
Petrus selbst ist sich dieser besonderen Stellung auch bewußt: Er
ist es, der oft auch im Namen der anderen spricht, und um die Erklärung eines
schwierigen Gleichnisses bittet (vgl. Mt 15,15) oder nach dem genauen Sinn
eines Gebotes fragt (Mt 18,21) oder die förmliche Zusage einer Belohnung
erbittet (vgl. Mt 19,27). Insbesondere ist er es, der gewissen Situationen ihre
Verlegenheit nimmt, indem er im Namen aller eingreift. Als Jesus beispielsweise
wegen des Unverständnisses der Menge nach seiner Rede über das »Brot des
Lebens« betrübt ist und fragt: »Wollt auch ihr weggehen?«, antwortet Petrus mit
Entschiedenheit: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen
Lebens« (vgl. Joh 6,67–69). Ebenso deutlich ist das Glaubensbekenntnis, das er,
wieder im Namen der Zwölf, bei Cäsarea Philippi ablegt. Auf die Frage Jesu:
»Für wen haltet ihr mich?«, antwortet Petrus: »Du bist der Messias, der Sohn
des lebendigen Gottes!« (Mt 16,15–16). Als Erwiderung spricht Jesus daraufhin
die feierliche Erklärung aus, die ein für allemal die Rolle des Petrus in der
Kirche festlegt: »Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen
werde ich meine Kirche bauen … Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs
geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein,
und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein« (Mt
16,18–19). Die drei Metaphern, auf die Jesus zurückgreift, sind in sich sehr
deutlich: Petrus wird der »Felsengrund« sein, auf dem das Gebäude der Kirche
stehen wird; er wird die »Schlüssel« des Himmelreichs besitzen, um es für
Menschen zu öffnen oder zu verschließen, so wie er es bei jedem für richtig
hält; schließlich wird er »binden« und »lösen« können, in dem Sinne, daß er
festlegen oder verbieten kann, was er für das Leben der Kirche, die die Kirche
Christi ist und bleibt, als notwendig erachtet. Die Kirche ist immer die Kirche
Christi und nicht die des Petrus. So wird in sehr anschaulichen Bildern das
beschrieben, was in der späteren theologischen Reflexion mit dem Begriff
»Jurisdiktionsprimat« bezeichnet werden wird.
Diese Vorrangstellung, die Jesus dem Petrus zuerkannt hat,
begegnet uns auch nach der Auferstehung: Jesus beauftragt die Frauen, die
Auferstehung dem Petrus gesondert von den anderen Aposteln zu verkündigen (vgl.
Mk 16,7); zu ihm und zu Johannes läuft Maria von Magdala, um diesen
mitzuteilen, daß der Stein vom Eingang des Grabes weggenommen ist (vgl. Joh
20,2), und Johannes wird ihm den Vortritt lassen, als die beiden vor dem leeren
Grab angekommen sind (vgl. Joh 20,4–6); Petrus wird dann unter den Aposteln der
erste Zeuge einer Erscheinung des Auferstandenen sein (vgl. Lk 24,34; 1 Kor
15,5). Seine Rolle, die deutlich unterstrichen wird (vgl. Joh 20,3–10), betont
die Kontinuität zwischen der Vorrangstellung, die Petrus in der Gruppe der
Apostel hatte, und der Vorrangstellung, die er, wie die Apostelgeschichte
bezeugt, in der Gemeinde haben wird, die mit dem Ostergeschehen entstanden ist
(vgl. Apg 1,15–26; 2,14–40; 3,12–26; 4,8–12; 5,1–11.29; 8,14–17; 10; usw.).
Sein Verhalten wird als so entscheidend angesehen, daß es aufmerksam beobachtet
wird und auch Kritik unterworfen ist (vgl. Apg 11,1–18: Gal 2,11–14). Beim
sogenannten Konzil von Jerusalem kommt Petrus eine Leitungsfunktion zu (vgl.
Apg 15 und Gal 2,1–10), und eben weil er Zeuge des wahren Glaubens ist, wird
auch Paulus in ihm in gewisser Weise den »Ersten« erkennen (vgl. 1 Kor 15,5;
Gal 1,18; 2,7f.; usw.). Verschiedene auf Petrus bezogene Schlüsseltexte können
auf den Kontext des Letzten Abendmahls zurückgeführt werden, in dem Christus
dem Petrus den Auftrag gibt, seine Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,31f.). Das
zeigt, daß die Kirche, die aus dem österlichen Gedächtnis entsteht, das in der
Eucharistie gefeiert wird, in dem Petrus anvertrauten Amt eines ihrer
grundlegenden Elemente besitzt.
Dieses Hineinstellen des Primats des Petrus in den Kontext des
Letzten Abendmahls, in den Augenblick der Einsetzung der Eucharistie, des
Pascha des Herrn, weist auch auf den letztendlichen Sinn dieses Primats hin:
Petrus muß für alle Zeiten der Hüter der Gemeinschaft mit Christus sein; er muß
zur Gemeinschaft mit Christus hinführen; er muß dafür Sorge tragen, daß das
Netz nicht reißt und so die universale Gemeinschaft fortdauern kann. Nur
gemeinsam können wir mit Christus sein, der der Herr aller Menschen ist. Bei
Petrus liegt also die Verantwortung, mit der Liebe Christi die Gemeinschaft mit
Christus zu gewährleisten, indem er zur Umsetzung dieser Liebe im täglichen
Leben hinführt. Beten wir darum, daß der Primat des Petrus, der einfachen
Menschen anvertraut worden ist, immer in diesem ursprünglichen, vom Herrn
gewollten Sinn ausgeübt werden kann und so von den Brüdern, die noch nicht in
voller Gemeinschaft mit uns stehen, immer mehr in seiner wahren Bedeutung
erkannt werden kann.