Papst Benedikt XVI.
Predigt vor dem Pariser Invalidendom am
13.9.2008
BENEDIKT XVI.: Mit
scheint es heute offenkundig zu sein, daß die Laizität an sich nicht im
Gegensatz zum Glauben steht. Ich würde sogar sagen, sie ist eine Frucht des
Glaubens, weil der christliche Glaube von Anfang an eine universale Religion
war, das heißt nicht mit einem Staat identifizierbar, eine Religion, die in
allen Staaten gegenwärtig und zugleich verschieden von jedem Staat war. Für die
Christen war immer klar, daß Religion und Glauben nicht in den Bereich der
Politik gehören, sondern zu einem anderen Bereich des menschlichen Lebens… Die
Politik, der Staat sind keine Religion, sondern eine weltliche Realität mit
einem spezifischen Auftrag. Die beiden Realitäten müssen füreinander offen
sein. In diesem Sinn würde ich sagen, daß es heute für die Franzosen – und
nicht nur für die Franzosen, sondern für uns Christen in der säkularisierten
Welt von heute – wichtig ist, mit Freude die Freiheit unseres Glaubens zu
leben, die Schönheit des Glaubens zu leben und in der Welt von heute sichtbar
zu machen, daß es schön ist, Gott zu kennen, Gott, der in Jesus Christus ein
menschliches Antlitz hat… Das heißt also zu zeigen, daß es möglich ist, heute
gläubig zu sein, und auch die Notwendigkeit zu zeigen, daß es in der heutigen
Gesellschaft Menschen gibt, die Gott kennen und die deshalb gemäß den Werten,
die er uns gegeben hat, leben können. So können sie zur Vergegenwärtigung
dieser Werte beitragen, die für den Aufbau und das Überleben unserer Staaten
und unserer Gesellschaften grundlegend sind.
Der erste Brief des heiligen Paulus an die Korinther lässt uns im
Paulusjahr, das wir am vergangenen 28. Juni eröffnet haben, entdecken, wie weit
die vom Apostel erteilten Ratschläge auch heute aktuell sind. „Meidet den
Götzendienst“ (1 Kor 10,14), schreibt er an eine Gemeinde, die vom Heidentum
sehr geprägt ist und gespalten ist zwischen dem Festhalten an der Neuheit des
Evangeliums und der Befolgung der von den Vorfahren ererbten alten Praktiken.
Die Götzen meiden, das hieß damals, damit aufzuhören, die Gottheiten des Olymp
zu verehren, damit aufzuhören, ihnen blutige Opfer darzubringen. Die Götzen
meiden bedeutete, sich in die Schule der Propheten des Alten Testaments zu
begeben, die den Hang des menschlichen Geistes, sich falsche Darstellungen von
Gott zu schmieden, anklagten. Wie der Psalm 115 in Bezug auf die Götzenbilder
sagt, sind diese „nur Silber und Gold, ein Machwerk von Menschenhand. Sie haben
einen Mund und reden nicht, Augen und sehen nicht; sie haben Ohren und hören
nicht, eine Nase und riechen nicht“ (Vv. 4 –6). Abgesehen vom Volk Israel, das
die Offenbarung des einen Gottes empfangen hatte, stand die Welt der Antike unter
der Knechtschaft des Götzenkultes. Die Fehler des Heidentums, die in Korinth
sehr verbreitet waren, mussten angeklagt werden, denn sie stellten eine
mächtige Entfremdung dar und brachten den Menschen von seiner wahren Bestimmung
ab. Sie hinderten ihn daran zu erkennen, dass Christus der einzige Erlöser ist,
der einzige, der dem Menschen den Weg zu Gott zeigen kann.
Dieser Aufruf, die Götzen zu meiden, bleibt auch heute aktuell. Hat sich
die gegenwärtige Welt nicht ihre eigenen Götzen geschaffen? Hat sie etwa nicht,
vielleicht auch unbewusst, die Heiden des Altertums nachgeahmt, indem sie den
Menschen von seinem wahren Ziel abbrachte, von der Glückseligkeit, ewig mit
Gott zu leben? Dies ist eine Frage, die jeder Mensch, der sich selbst gegenüber
ehrlich ist, sich stellen muss. Was ist wichtig in meinem Leben? Was setze ich
an die erste Stelle? Das Wort „idole“ (französisch für „Götze“) kommt aus dem
Griechischen und bedeutet „Bild“, „Figur“, „Darstellung“, aber auch „Gespenst“,
„Phantom“, „vergängliche Erscheinung“. Der Götze ist eine Täuschung, denn er
bringt seinen Betrachter von der Wirklichkeit ab, um ihn ins Reich des Scheins
zu verbannen. Aber ist dies nicht eine Versuchung, die unserer Epoche eigen
ist, die die einzige ist, auf die wir wirksam einwirken können? Die Versuchung,
eine Vergangenheit, die nicht mehr ist, zu vergötzen und dabei deren Mängel zu
vergessen; die Versuchung, eine Zukunft, die noch nicht existiert, zu vergötzen
und dabei zu glauben, dass der Mensch mit seinen Kräften allein das Reich
ewiger Glückseligkeit auf der Erde schaffen kann! Der heilige Paulus erklärt
den Kolossern, dass die unersättliche Begierde ein Götzendienst ist (vgl. Kol
3,5) und erinnert seinen Schüler Timotheus daran, dass die Geldgier die Wurzel
aller Übel ist. Weil sie sich ihr hingegeben haben, führt er weiter aus, „sind
nicht wenige vom Glauben abgeirrt und haben sich viele Qualen bereitet“ (1 Tim
6,10). Haben etwa nicht das Geld, die Gier nach Besitz, nach Macht und sogar
nach Wissen den Menschen von seinem wahren Ziel abgebracht?
Liebe Brüder und Schwestern, die Frage, die uns die Liturgie dieses Tages
stellt, findet ihre Antwort in genau dieser Liturgie, die wir von unseren
Vätern im Glauben, insbesondere vom heiligen Paulus selbst (vgl. 1 Kor 11,23),
ererbt haben. In seinem Kommentar zu diesem Text hebt der heilige Johannes
Chrysostomus hervor, dass der heilige Paulus den Götzendienst streng als
„schwere Schuld“, als „Ärgernis“, als wahre „Pest“ verurteilt (Homilie 24 über
den Ersten Korintherbrief, 1). Er fügt unmittelbar hinzu, dass diese radikale
Verurteilung des Götzendienstes in keinem Fall eine Verurteilung der Person des
Götzendieners ist. Niemals dürfen wir bei unseren Urteilen die Sünde, die
unannehmbar ist, mit dem Sünder verwechseln, dessen Gewissenslage wir nicht
beurteilen können und der auf jeden Fall immer zu Bekehrung und Vergebung fähig
ist. Der heilige Paulus appelliert dabei an die Vernunft seiner Leser, an die
Vernunft jedes Menschen, die ein starkes Zeugnis der Gegenwart des Schöpfers im
Geschöpf ist: „Ich rede doch zu verständigen Menschen; urteilt selbst über das,
was ich sage“ (1 Kor 10,15). Niemals verlangt Gott, dessen bevollmächtigter
Zeuge der Apostel hier ist, vom Menschen, seine Vernunft zu opfern! Niemals
tritt die Vernunft in einen wirklichen Gegensatz zum Glauben! Der eine Gott –
Vater, Sohn und Heiliger Geist – hat unsere Vernunft erschaffen und schenkt uns
den Glauben, indem er unserer Vernunft anbietet, diesen als wertvolle Gabe zu
empfangen. Der Götzenkult ist es, der den Menschen von dieser Perspektive
abbringt, und die Vernunft selbst kann sich Götzen schmieden. Bitten wir daher
Gott, der uns sieht und hört, dass er uns helfe, uns von allen Götzen zu
reinigen, um zur Wahrheit unseres Seins, um zur Wahrheit seines unendlichen Seins
zu gelangen.
Wie gelangen wir zu Gott? Wie gelangen wir dazu, Ihn zu finden oder
wiederzufinden, den der Mensch im Innersten seiner selbst sucht, obschon er ihn
so oft vergisst? Der heilige Paulus bittet uns, nicht nur unsere Vernunft zu
gebrauchen, sondern vor allem unseren Glauben, um ihn zu entdecken. Nun, was
sagt uns der Glaube? Das Brot, das wir brechen, ist Teilhabe am Leib Christi;
der Kelch der Danksagung, über den wir den Segen sprechen, ist Teilhabe am Blut
Christi. Eine außergewöhnliche Offenbarung, die von Christus stammt und uns von
den Aposteln und der ganzen Kirche seit fast zweitausend Jahren überliefert
wird: Christus hat am Abend des Gründonnerstags das Sakrament der Eucharistie
eingesetzt. Er wollte, dass jedes Mal, wenn ein Priester die Worte der Wandlung
über Brot und Wein wiederholt, sein Opfer in unblutiger Weise neu dargebracht
wird. Millionenfach hat sich seit zwanzig Jahrhunderten der auferstandene Herr
in der armseligsten Kapelle wie in der großartigsten Basilika oder Kathedrale
seinem Volk geschenkt und wurde dabei, nach einem bekannten Wort des heiligen
Augustinus, „uns innerer als unser Innerstes“ (vgl. Bekenntnisse III, 6,11).
Brüder und Schwestern, umgeben wir das Sakrament des Leibes und des
Blutes des Herrn, das Allerheiligste Sakrament der wirklichen Gegenwart des
Herrn für seine Kirche und für die gesamte Menschheit mit größter Verehrung.
Vernachlässigen wir nichts, um ihm unsere Ehrfurcht und unsere Liebe zu zeigen!
Schenken wir ihm die größten Ehrerbietungen. Lassen wir durch unsere Worte,
unsere Stille und unsere Gesten niemals zu, dass in uns und um uns herum der
Glaube an den auferstandenen Christus, der in der Eucharistie gegenwärtig ist,
getrübt wird. Wie sagt es wiederum der heilige Johannes Chrysostomus großartig:
„Wenn wir den Kelch opfern und genießen, erinnern wir uns an die
unaussprechlichen Wohltaten Gottes und an alle Gaben, mit denen er uns erfreut,
und danken Gott, dass er das Menschengeschlecht vom Irrtum befreit hat; dass er
diejenigen, die ihm entfremdet waren, wieder an sich gezogen hat; dass er
diejenigen, die hoffnungslos und ohne Gott in dieser Welt lebten, zu einem Volk
von Brüdern und zu Miterben des Sohnes Gottes gemacht hat“ (Homilie 24 über den
Ersten Korintherbrief, 1). In der Tat, fährt er fort, „ist das Blut im Kelch
dasselbe, das aus seiner Seite geflossen ist, und das trinken wir“ (ebd.). Es
ist nicht nur Teilnahme und Teilen, es ist „Einswerden“, sagt der Kirchenvater,
dessen Name „Goldmund“ bedeutet.
Die heilige Messe ist ein Opfer der Danksagung, sie ist das Opfer der
Danksagung schlechthin, das uns erlaubt, unsere Danksagung mit der des
Erlösers, des ewigen Sohnes des Vaters, zu vereinen. Die Messe an sich lädt uns
auch ein, die Götzen zu meiden, denn – wie der heilige Paulus mit Nachdruck
sagt – „ihr könnt nicht Gäste sein am Tisch des Herrn und am Tisch der Dämonen“
(1 Kor 10,21). Die Messe lädt uns ein zu unterscheiden, was in uns dem Geist
Gottes gehorcht und was in uns weiter dem Geist des Bösen
Gehör schenkt. In der Messe wollen wir niemand anderem gehören als
Christus und mit Dankbarkeit – mit „Danksagung“ – den Ruf des Psalmisten wieder
aufnehmen: „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan
hat?“ (Ps 116,12). Ja, wie danke ich dem Herrn für das Leben, das Er mir
geschenkt, Er, der „mein Leben dem Tod entrissen hat“ (Ps 116,8), um mich
endgültig mit seinem Leben zu vereinen? Die Antwort auf die Frage des
Psalmisten findet sich im Psalm selbst, denn das Wort Gottes antwortet selbst
barmherzig auf die Fragen, die es stellt. Wie können wir dem Herrn all das
vergelten, was er uns Gutes tut, wenn nicht dadurch, dass wir uns an seine
Worte selbst halten: „Ich will den Kelch des Heils erheben und anrufen den
Namen des Herrn“ (Ps 116,13)?
Ist nicht etwa den Kelch des Heils erheben und den Namen des Herrn
anrufen genau das beste Mittel, um die „Götzen zu meiden“, wie es der heilige
Paulus von uns fordert? Jedes Mal, wenn eine Messe gefeiert wird, jedes Mal,
wenn Christus in seiner Kirche sakramental gegenwärtig wird, vollzieht sich das
Werk unseres Heils. Die Eucharistie feiern bedeutet daher anzuerkennen, dass
Gott allein imstande ist, uns die Glückseligkeit in Fülle zu schenken, uns die
wahren Werte zu lehren, die ewigen Werte, die keinen Untergang kennen. Gott ist
gegenwärtig auf dem Altar, aber Er ist auch gegenwärtig auf dem Altar unseres
Herzens, wenn wir ihn bei der Kommunion im Sakrament der Eucharistie empfangen.
Er allein lehrt uns, die Götzen zu meiden, die Trugbilder des Denkens.
Nun, liebe Brüder und Schwestern, wer kann den Kelch des Heils erheben
und den Namen des Herrn anrufen im Namen des ganzen Volkes Gottes, wenn nicht
der Priester, der zu diesem Zweck vom Bischof geweiht worden ist? Gestattet mir
hier, liebe Einwohner der Stadt und der Region Paris, aber auch Ihr alle, die
Ihr aus ganz Frankreich und aus den Nachbarländern gekommen seid, einen Aufruf
zu machen voller Vertrauen auf den Glauben und die Großzügigkeit der
Jugendlichen, die sich die Frage über die Ordens- oder Priesterberufung
stellen: Habt keine Furcht! Habt keine Furcht, Euer Leben Christus zu schenken!
Nichts wird je den Dienst der Priester im Leben der Kirche ersetzen. Nichts
wird je eine Messe für das Heil der Welt ersetzen! Liebe junge und weniger
junge Leute, die Ihr mich hört, lasst den Anruf Christi nicht unbeantwortet. In
seiner Abhandlung über das Priestertum hat der heilige Johannes Chrysostomus
gezeigt, wie langsam die Antwort des Menschen erfolgen kann, und doch ist
dieser Mensch ein lebendiges Beispiel für das Wirken Gottes im Inneren einer
menschlichen Freiheit, die sich von seiner Gnade formen lässt.
Schließlich sehen wir, wenn wir die Worte aufgreifen, die Christus uns in
seinem Evangelium hinterlassen hat, dass Er selbst uns gelehrt hat, den
Götzendienst zu meiden, indem er uns eingeladen hat, unser Haus „auf Fels“ zu
bauen (Lk 6, 48). Wer ist dieser Fels, wenn nicht Christus selber? Unsere
Gedanken, unsere Worte und unser Tun erlangen ihre wahre Dimension nur, wenn
wir sie auf die Botschaft des Evangeliums beziehen: „Wovon das Herz voll ist,
davon spricht der Mund“ (Lk 6,45). Bemühen wir uns beim Sprechen um das Wohl
unseres Gesprächspartners? Bemühen wir uns beim Denken, unsere Gedanken mit dem
Denken Gottes in Einklang zu bringen? Bemühen wir uns beim Handeln, die Liebe
zu verbreiten, die uns Leben schenkt? So wie es wiederum der heilige Johannes
Chrysostomus sagt: „Wenn wir aber alle am selben Brot teilhaben und wenn wir
alle eins werden, warum erweisen wir uns dann nicht auch alle dieselbe Liebe
und warum werden wir nicht auch darin eins? O Mensch, Christus hat dich
gesucht, der du so weit von ihm getrennt warst, um mit dir eins zu werden; und
du willst nicht mit deinem Bruder eins werden?“ (Homilie 24 über den Ersten
Korintherbrief, 2).
Die Hoffnung wird immer stärker sein! Die Kirche, erbaut auf dem Felsen
Christi, besitzt die Verheißungen des ewigen Lebens, nicht weil ihre Mitglieder
heiliger sind als die anderen Menschen, sondern weil Christus Petrus diese
Verheißung gegeben hat: „Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen
Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie
nicht überwältigen.“ (Mt 16,18). In dieser unvergänglichen Hoffnung auf die
ewige Gegenwart Gottes in einer jeden unserer Seelen, in dieser Freude zu
wissen, dass Christus bei uns ist bis zum Ende der Welt, in dieser Kraft, die
der Heilige Geist all denen schenkt, die sich willig von ihm ergreifen lassen,
vertraue ich euch, liebe Christen von Paris und Frankreich, dem mächtigen und
barmherzigen Wirken des Gottes der Liebe an, der für uns am Kreuz gestorben und
am Ostermorgen siegreich auferstanden ist. Allen Menschen guten Willens, die
mich hören, sage ich nochmals mit dem heiligen Paulus: Meidet den Götzendienst,
hört nicht auf, Gutes zu tun!
Gott, unser Vater, ziehe Euch an sich und lasse über Euch den Glanz
seiner Herrlichkeit strahlen! Der einzige Sohn Gottes, unser Meister und unser
Bruder, offenbare Euch die Schönheit seines auferstandenen Antlitzes! Der
Heilige Geist erfülle Euch mit seinen Gaben und gebe Euch die Freude, den
Frieden und das Licht der Heiligsten Dreifaltigkeit zu erkennen, jetzt und in
alle Ewigkeit! Amen.