Papst Benedikt XVI.
Grundsatzrede an Wissenschaftler,
Künstler und Medienvertreter
im Collège des Bernardins in Paris am
12. September 2008
Danke, Herr Kardinal
(Vingt-Trois von Paris), für Ihre freundlichen Worte. Wir befinden uns hier an
einem historischen Ort, der von den Söhnen des heiligen Bernhard von Clairvaux
erbaut wurde und den Ihr Vorgänger, der verstorbene Kardinal Jean-Marie
Lustiger, als Zentrum des Dialogs zwischen dem christlichen Denken und den
intellektuellen und künstlerischen Strömungen der heutigen Gesellschaft wollte.
Ich begrüße im Besonderen die Frau Kulturminister, die die Regierung vertritt,
sowie die Herren Giscard dEstaing und Chirac. Desgleichen grüße ich die
anwesenden Minister, die Vertreter der UNESCO, den Herrn Bürgermeister von
Paris und alle anderen Amtsträger. Ich möchte nicht meine Kollegen des Institut
de France vergessen, die um meine Wertschätzung ihnen gegenüber wissen, und
danke Prinz de Broglie für seine herzlichen Worte. Wir werden uns morgen
Vormittag wiedersehen. Ich danke den Vertretern der muslimischen Gemeinde
Frankreichs, dass sie die Einladung zur Teilnahme an dieser Begegnung angenommen
haben. Ihnen entbiete ich meine besten Wünsche in dieser Zeit des Ramadan. Mein
warmherziger Gruß gilt nun natürlich der gesamten vielfältigen Welt der Kultur,
die Sie, liebe Gäste, so würdig vertreten.
Heute Abend möchte ich zu
Ihnen über die Ursprünge der abendländischen Theologie und die Wurzeln der
europäischen Kultur sprechen. Eingangs habe ich erwähnt, dass wir uns an einem
emblematischen Ort befinden. Er ist an die Mönchskultur gebunden. Junge Mönche
haben hier gelebt, um ihre Berufung tiefer verstehen und ihren Auftrag besser
leben zu lernen. Dies ist ein Ort, der mit der Kultur des Mönchtums zu tun hat.
Geht uns das heute noch etwas an, oder begegnen wir dabei bloß einer
vergangenen Welt? Um darauf antworten zu können, müssen wir uns einen Augenblick
auf das Wesen des abendländischen Mönchtums selbst besinnen. Worum ging es da?
Von der Wirkungsgeschichte des Mönchtums her können wir sagen, dass im großen
Kulturbruch der Völkerwanderung und der sich bildenden neuen staatlichen
Ordnungen die Mönchsklöster der Ort waren, an dem die Schätze der alten Kultur
überlebten und zugleich von ihnen her eine neue Kultur langsam geformt wurde.
Aber wie ging das zu? Was hat die Menschen bewegt, die sich an diesen Orten
zusammenfanden? Was wollten sie? Wie haben sie gelebt?
Da ist zunächst und als
erstes ganz nüchtern zu sagen, dass es nicht ihre Absicht war, Kultur zu
schaffen oder auch eine vergangene Kultur zu erhalten. Ihr Antrieb war viel
elementarer. Ihr Ziel hieß: quaerere Deum. In der Wirrnis der Zeiten, in der
nichts standzuhalten schien, wollten sie das Wesentliche tun – sich bemühen,
das immer Gültige und Bleibende, das Leben selber zu finden. Sie waren auf der
Suche nach Gott. Sie wollten aus dem Unwesentlichen zum Wesentlichen, zum
allein wirklich Wichtigen und Verlässlichen kommen. Man sagt darüber, dass sie
„eschatologisch“ ausgerichtet waren. Aber das ist nicht in einem zeitlichen
Sinn zu verstehen, als ob sie auf das Ende der Welt oder auf ihren eigenen Tod
hingeschaut hätten, sondern in einem existenziellen Sinn: Sie suchten das
Endgültige hinter dem Vorläufigen. Quaerere Deum: Weil sie Christen waren, war
dies nicht eine Expedition in eine weglose Wüste, eine Suche ins völlige Dunkel
hinein. Gott hatte selbst Wegzeichen ausgesteckt, ja, einen Weg gebahnt, den zu
finden und zu gehen die Aufgabe war. Dieser Weg war sein Wort, das in den
Büchern der heiligen Schriften vor den Menschen aufgeschlagen war. Die Suche
nach Gott verlangt so von innen her eine Kultur des Wortes oder – wie Jean
Leclercq es ausgedrückt hat: Eschatologie und Grammatik sind im abendländischen
Mönchtum inwendig miteinander verbunden (vgl. Lamour des lettres et le désir de
Dieu, S. 14). Das Verlangen nach Gott, der désir de Dieu, schließt den amour
des lettres, die Liebe zum Wort mit ein, das Eindringen in alle seine
Dimensionen. Weil im biblischen Wort Gott unterwegs ist zu uns und wir zu ihm,
darum muss man lernen, in das Geheimnis der Sprache einzudringen, sie in ihrem
Aufbau und in der Weise ihres Ausdrucks zu begreifen. So werden gerade durch
die Gottsuche die profanen Wissenschaften wichtig, die uns den Weg zur Sprache
zeigen. Weil die Suche nach Gott die Kultur des Wortes verlangte, daher gehört
zum Kloster die Bibliothek, die die Wege zum Wort aufzeigt. Daher gehört zu ihm
auch die Schule, in der die Wege konkret geöffnet werden. Benedikt nennt das
Kloster eine dominici servitii schola. Das Kloster dient der eruditio, der
Formung und Bildung des Menschen – Formung letztlich darauf hin, dass der
Mensch Gott zu dienen lerne. Aber dies schließt gerade auch die Formung des
Verstandes, die Bildung ein, durch die der Mensch in den Wörtern das
eigentliche Wort wahrzunehmen lernt.
Wir müssen noch einen
Schritt weitergehen, um der Kultur des Wortes ganz ansichtig zu werden, die zum
Wesen der Suche nach Gott gehört. Das Wort, das den Weg der Gottsuche öffnet
und selbst dieser Weg ist, ist ein gemeinsames Wort. Gewiss, es trifft jeden
Einzelnen mitten ins Herz (vgl. Apg 2, 37). Gregor der Große beschreibt dies
wie einen jähen Stich, der unsere schläfrige Seele aufreißt und uns wach macht
für Gott (vgl. Leclercq, ebd., S. 35). Aber es macht uns so auch wach
füreinander. Es führt nicht auf einen bloß individuellen Weg mystischer
Versenkung, sondern in die Weggemeinschaft des Glaubens hinein. Und darum muss
dieses Wort nicht nur bedacht, sondern auch recht gelesen werden. Wie in der
Rabbinenschule, so ist auch bei den Mönchen das Lesen selbst des Einzelnen ein
zugleich körperlicher Vorgang. „Wenn aber legere und lectio ohne ein
erläuterndes Beiwort gebraucht werden, dann bezeichnen sie meistens eine
Tätigkeit, die wie Singen und Schreiben den ganzen Körper und den ganzen Geist
ergreift“, sagt Jean Leclercq dazu (ebd., S. 21).
Und noch einmal ist ein
weiterer Schritt zu tun. Das Wort Gottes bringt uns selber ins Gespräch mit
Gott. Der Gott, der in der Bibel spricht, lehrt uns, wie wir selber mit ihm
reden können. Besonders im Buch der Psalmen gibt er uns die Worte, mit denen
wir ihn anreden können, unser Leben mit seinen Höhen und Tiefen ins Gespräch
mit ihm zu bringen vermögen, so dass dabei das Leben selbst Bewegung auf ihn
hin wird. Die Psalmen enthalten immer wieder Anweisungen auch dafür, wie sie
gesungen und mit Instrumenten begleitet werden sollen. Für das Beten vom Wort
Gottes her reicht das Sprechen nicht aus, es verlangt Musik. Zwei Gesänge der
christlichen Liturgie stammen von biblischen Texten, in denen sie im Mund der
Engel erscheinen: das Gloria, das zuerst bei der Geburt Jesu von den Engeln
gesungen wurde und das Sanctus, das nach Jesaja 6 der Ruf der Seraphine ist,
die Gott unmittelbar nahestehen. Der christliche Gottesdienst bedeutet von
daher die Einladung, mit den Engeln mitzusingen und so das Wort zu seiner
höchsten Bestimmung zu führen. Noch einmal Jean Leclercq zu diesem Thema: „Die
Mönche mussten Melodien finden, die die Zustimmung des erlösten Menschen zu den
Geheimnissen, die er feiert, in Töne übersetzen. Die wenigen uns erhalten
gebliebenen Kapitelle von Cluny zeigen so die christologischen Symbole der
einzelnen Tonarten“ (vgl. ebd., S. 229).
Bei Benedikt steht als
maßgebende Regel über dem Gebet und Gesang der Mönche das Psalmwort: Coram
angelis psallam Tibi, Domine – im Angesicht der Engel psalliere ich vor dir
(vgl. 138, 1). Hier drückt sich das Bewusstsein aus, beim gemeinsamen Gebet in
der Anwesenheit des ganzen himmlischen Hofes zu singen und damit dem höchsten
Maßstab ausgesetzt zu sein: so zu beten und zu singen, dass man in die Musik
der erhabenen Geister einstimmen kann, die als die Urheber der Harmonie des
Kosmos, der Musik der Sphären galten. Aus diesem inneren Anspruch des Redens
mit Gott und des Singens von Gott mit den von ihm selbst geschenkten Worten ist
die große abendländische Musik entstanden. Es ging nicht um private
„Kreativität“, in der das Individuum sich selbst ein Denkmal setzt und als
Maßstab wesentlich die Darstellung des eigenen Ich nimmt. Es ging vielmehr
darum, wachsam mit den „Ohren des Herzens“ die inneren Gesetze der Musik der
Schöpfung selbst, die vom Schöpfer in seine Welt und in den Menschen gelegten
Wesensformen der Musik zu erkennen und so die gotteswürdige Musik zu finden,
die zugleich dann wahrhaft des Menschen würdig ist und seine Würde rein ertönen
lässt.
Um die Kultur des Wortes
einigermaßen zu verstehen, die sich im abendländischen Mönchtum aus der Suche
nach Gott von innen her entwickelte, ist schließlich noch ein wenigstens kurzer
Hinweis auf die Eigenart des Buches oder der Bücher nötig, in denen dieses Wort
den Mönchen entgegenkam. Die Bibel ist rein historisch und literarisch betrachtet
nicht einfach ein Buch, sondern eine Sammlung von Literatur, deren Entstehung
sich über mehr als ein Jahrtausend hin erstreckt und deren einzelne Bücher man
nicht ohne weiteres als eine innere Einheit erkennen kann; sie stehen vielmehr
in erkennbaren Spannungen zueinander. Das gilt schon innerhalb der Bibel
Israels, die wir Christen als Altes Testament benennen. Es gilt erst recht,
wenn wir als Christen das Neue Testament mit seinen Schriften sozusagen als
hermeneutischen Schlüssel mit der Bibel Israels verbinden und diese so als Weg
auf Christus hin verstehen. Die Bibel wird im Neuen Testament im allgemeinen zu
Recht nicht als „die Schrift“, sondern als „die Schriften“ bezeichnet, die
freilich zusammen dann doch als das eine Wort Gottes an uns angesehen werden.
Aber schon dieser Plural macht sichtbar, dass Gottes Wort hier nur durch
Menschenwort und Menschenwörter hindurch zu uns kommt, dass Gott nur durch
Menschen hindurch, durch deren Worte und deren Geschichte zu uns redet. Dies
wieder bedeutet, dass das Göttliche an dem Wort und an den Wörtern nicht
einfach zutage liegt. Modern ausgedrückt: Die Einheit der biblischen Bücher und
der göttliche Charakter ihrer Worte sind nicht rein historisch greifbar. Das
Historische ist die Vielfalt und die Menschlichkeit. Von da aus versteht man
die zunächst befremdlich erscheinende Formulierung eines mittelalterlichen
Distichons: Littera gesta docet – quid credas allegoria ... (vgl. Augustinus
von Dänemark, Rotulus pugillaris, I). Der Buchstabe zeigt die Fakten an; was du
zu glauben hast, sagt die Allegorie, das heißt die christologische und
pneumatische Auslegung.
Wir können es auch einfacher
ausdrücken: Die Schrift bedarf der Auslegung, und sie bedarf der Gemeinschaft,
in der sie geworden ist und in der sie gelebt wird. In ihr hat sie ihre
Einheit, und in ihr öffnet sich der das Ganze zusammenhaltende Sinn. Noch
einmal anders gewendet: Es gibt Dimensionen der Bedeutung des Wortes und der
Wörter, die sich nur in der gelebten Gemeinschaft dieses Geschichte stiftenden
Wortes öffnen. Durch das zunehmende Wahrnehmen der verschiedenen
Sinndimensionen wird das Wort nicht entwertet, sondern erscheint erst in seiner
ganzen Größe und Würde. Deswegen kann der „Katechismus der katholischen Kirche“
mit Recht sagen, dass das Christentum nicht einfach eine Buchreligion im
klassischen Sinn darstellt (vgl. Nr. 108). Es vernimmt in den Wörtern das Wort,
den Logos selbst, der sein Geheimnis durch diese Vielfalt hindurch ausbreitet.
Diese eigentümliche Struktur der Bibel ist eine immer neue Herausforderung an
jede Generation. Sie schließt von ihrem Wesen her all das aus, was man heute
Fundamentalismus nennt. Denn das Wort Gottes selber ist nie einfach schon in
der reinen Wörtlichkeit des Textes da. Zu ihm zu gelangen verlangt eine Transzendierung
und einen Prozess des Verstehens, der sich von der inneren Bewegung des Ganzen
leiten lässt und daher auch ein Prozess des Lebens werden muss. Immer nur in
der dynamischen Einheit des Ganzen sind die vielen Bücher ein Buch, zeigt sich
im Menschenwort und in der menschlichen Geschichte Gottes Wort und Gottes
Handeln in der Welt.
Die ganze Dramatik dieses
Themas ist in den Schriften des heiligen Paulus ausgeleuchtet. Was die
Überschreitung des Buchstabens und sein Verstehen allein vom Ganzen her bedeutet,
hat er drastisch ausgedrückt in dem Satz: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber
macht lebendig“ (2 Kor 3, 6). Und weiter: „Wo der Geist ... da ist Freiheit“ (2
Kor 3, 17). Man kann aber das Große und Weite dieser Sicht des biblischen
Wortes nur verstehen, wenn man Paulus ganz zuhört und dann erfährt, dass dieser
freimachende Geist einen Namen hat und so die Freiheit ein inneres Maß: „Der
Herr ist der Geist. Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2 Kor 3,
17). Der befreiende Geist ist nicht einfach die eigene Idee, die eigene Ansicht
des Auslegers. Der Geist ist Christus, und Christus ist Herr, der uns den Weg
zeigt. Mit dem Wort von Geist und Freiheit ist ein weiter Horizont eröffnet,
aber zugleich der Willkür der Subjektivität eine klare Grenze gesetzt, die den
Einzelnen wie die Gemeinschaft klar in die Pflicht nimmt und eine neue, höhere
Bindung als die des Buchstabens, nämlich die Bindung von Einsicht und Liebe
erschafft. Diese Spannung von Bindung und Freiheit, die weit über das literarische
Problem der Schriftauslegung hinausreicht, hat auch Denken und Wirken des
Mönchtums bestimmt und die abendländische Kultur zutiefst geprägt. Sie ist als
Aufgabe auch unserer Generation gegenüber den Polen von subjektiver Willkür und
fundamentalistischem Fanatismus neu gestellt. Es wäre ein Verhängnis, wenn die
europäische Kultur von heute Freiheit nur noch als Bindungslosigkeit auffassen
könnte und damit unvermeidlich dem Fanatismus und der Willkür in die Hand
spielen würde. Bindungslosigkeit und Willkür sind nicht Freiheit, sondern deren
Zerstörung.
Wir haben bisher beim
Bedenken der „Schule des göttlichen Dienstes“, als die Benedikt das Mönchtum
bezeichnet, nur auf ihre Orientierung auf das Wort – auf das „ora“ – geachtet.
In der Tat wird von da aus die Richtung des Ganzen des mönchischen Lebens
bestimmt. Aber unsere Betrachtung bliebe doch unvollständig, wenn wir nicht
auch die mit „labora“ umschriebene zweite Komponente des Mönchtums wenigstens
kurz ins Auge fassen würden. In der griechischen Welt galt die körperliche
Arbeit als Sache der Unfreien. Der Weise, der wirklich Freie ist allein den
geistigen Dingen hingegeben; er überlässt die körperliche Arbeit als etwas
Niedriges den Menschen, die zu diesem höheren Dasein in der Welt des Geistes
nicht fähig sind. Ganz anders die jüdische Tradition: Alle die großen Rabbinen
übten zugleich auch einen handwerklichen Beruf aus. Paulus, der als Rabbi und
dann als Verkünder des Evangeliums an die Völkerwelt auch Zeltmacher war und
sich den Unterhalt mit der eigenen Arbeit seiner Hände verdiente, ist hier
keine Ausnahme, sondern steht in der gemeinsamen Tradition des Rabbinentums.
Das Mönchtum hat diese Überlieferung aufgenommen; der Hände Arbeit gehört
konstitutiv zum christlichen Mönchtum. Benedikt spricht in seiner Regula nicht
eigens über die Schule, obwohl Unterricht und Lernen praktisch darin
vorausgesetzt sind, wie wir sahen. Aber er spricht ausdrücklich über die Arbeit
(vgl. Kap. 48). Und genauso Augustinus, der der Mönchsarbeit ein eigenes Buch
gewidmet hat. Die Christen, die damit in der vom Judentum vorgegebenen
Tradition fortfuhren, mussten sich dazu noch zusätzlich angesprochen sehen
durch das Wort Jesu im Johannes-Evangelium, mit dem er sein Wirken am Sabbat
verteidigte: „Mein Vater arbeitet bis jetzt und auch ich arbeite“ (5, 17). Die
griechisch-römische Welt kannte keinen Schöpfergott; die höchste Gottheit
konnte sich ihrer Vision nach nicht mit der Erschaffung der Materie gleichsam
die Hände schmutzig machen. Das „Machen“ der Welt war dem Demiurgen, einer
untergeordneten Gottheit vorbehalten. Anders der christliche Gott: Er, der
eine, der wirkliche und einzige Gott ist auch Schöpfer. Gott arbeitet; er
arbeitet weiter in und an der Geschichte der Menschen. In Christus tritt er als
Person in die mühselige Arbeit der Geschichte ein. „Mein Vater arbeitet bis
jetzt und auch ich arbeite.“ Gott selbst ist der Weltschöpfer, und die
Schöpfung ist nicht zu Ende. Gott arbeitet. So musste nun das Arbeiten der
Menschen als besondere Weise der Gottebenbildlichkeit des Menschen erscheinen,
der sich damit am weltschöpferischen Handeln Gottes beteiligen kann und darf.
Zum Mönchtum gehört mit der Kultur des Wortes eine Kultur der Arbeit, ohne die
das Werden Europas, sein Ethos und seine Weltgestaltung nicht zu denken sind.
Zu diesem Ethos müsste freilich gehören, dass Arbeit und Geschichtsgestaltung
des Menschen Mit-Arbeiten mit dem Schöpfer sein will und von diesem Mit her ihr
Maß nimmt. Wo dieses Maß fehlt und der Mensch sich selber zum gottartigen
Schöpfer erhebt, kann Weltgestaltung schnell zur Weltzerstörung werden.
Wir sind davon ausgegangen,
dass die Grundhaltung der Mönche im Zusammenbruch alter Ordnungen und
Gewissheiten das quaerere Deum war – sich auf die Suche machen nach Gott. Wir
könnten sagen, dass dies die eigentlich philosophische Haltung ist: Über das
Vorletzte hinauszuschauen und sich auf die Suche nach dem Letzten und
Eigentlichen zu machen. Wer Mönch wurde, machte sich auf einen weiten und hohen
Weg, aber er hatte doch schon die Richtung gefunden: das Wort der Bibel, in dem
er Gott selbst sprechen hörte. Er musste nun versuchen, ihn zu verstehen, um
auf ihn zugehen zu können. So ist der Weg der Mönche doch schon Weg im Inneren
des angenommenen Wortes, auch wenn die Wegstrecke unermesslich bleibt. Das Suchen
der Mönche trägt in gewisser Hinsicht schon ein Finden in sich. Deshalb muss es
vorher schon, damit dieses Suchen möglich werde, eine erste Bewegung geben, die
nicht nur den Willen zum Suchen weckt, sondern auch glaubhaft macht, dass in
diesem Wort der Weg verborgen ist oder besser: dass in diesem Wort Gott sich
selbst auf den Weg zu den Menschen begeben hat und daher Menschen auf ihm zu
Gott kommen können. Mit anderen Worten: Es muss Verkündigung geben, die den
Menschen anredet und so Überzeugung schafft, die Leben werden kann. Damit sich
ein Weg ins Innere des biblischen Wortes als Gotteswort öffne, muss dieses Wort
selbst zunächst nach außen gesprochen werden. Klassischer Ausdruck für diese
Notwendigkeit des christlichen Glaubens, sich für die anderen mitteilbar zu
machen, ist ein Satz aus dem Ersten Petrus-Brief, das in der mittelalterlichen
Theologie als biblische Begründung für die Arbeit der Theologen gewertet wurde:
„Seid stets bereit, jedem, der euch nach der Vernunft (dem Logos) eurer Hoffnung
fragt, Antwort zu geben“ (3, 15). (Logos muss Apologie, Wort muss Antwort
werden). In der Tat haben die Christen der werdenden Kirche ihre missionarische
Verkündigung nicht als Propaganda aufgefasst, die dazu dienen sollte, ihre
eigene Gruppe zu vergrößern, sondern als eine innere Notwendigkeit, die aus dem
Wesen ihres Glaubens folgte: Der Gott, dem sie glaubten, war der Gott aller,
der eine, wirkliche Gott, der sich in der Geschichte Israels und schließlich in
seinem Sohn gezeigt und damit die Antwort gegeben hatte, die alle betraf und
auf die alle Menschen im Innersten warten. Die Universalität Gottes und die
Universalität der auf ihn hin offenen Vernunft ist für
sie der Grund der Verkündigung und zugleich die Verpflichtung dazu. Für sie
gehörte ihr Glaube nicht der kulturellen Gewohnheit zu, die je nach Völkern
verschieden ist, sondern dem Bereich der Wahrheit, die alle gleichermaßen
angeht.
Das grundlegende Schema der
christlichen Verkündigung „nach außen“ – an die suchenden und fragenden
Menschen – findet sich in der Rede des heiligen Paulus auf dem Areopag. Halten
wir dabei gegenwärtig, dass der Areopag nicht eine Art Akademie war, auf der
sich die erlauchtesten Geister zur Diskussion über die höchsten Dinge trafen,
sondern ein Gerichtshof, der in Sachen Religion zuständig war und dem Import
fremder Religionen entgegentreten sollte. Genau dies wird Paulus vorgeworfen:
„Es scheint ein Verkünder fremder Gottheiten zu sein“ (Apg 17, 18). Dem hält
Paulus entgegen: Ich habe bei euch einen Altar gefunden mit der Aufschrift:
Einem unbekannten Gott. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich
euch (17, 23). Paulus verkündet keine unbekannten Götter. Er verkündet den, den
die Menschen nicht kennen und doch kennen – den Unbekannt-Bekannten; den, nach
dem sie suchen, um den sie letztlich wissen und der doch wieder der Unbekannte
und Unerkennbare ist. Das Tiefste menschlichen Denkens und Empfindens weiß
irgendwie, dass es Ihn geben muss. Dass am Anfang aller Dinge nicht die
Unvernunft, sondern die schöpferische Vernunft stehen muss; nicht der blinde
Zufall, sondern die Freiheit. Aber obwohl alle Menschen dies irgendwie wissen,
wie Paulus im Römer-Brief ausdrücklich sagt (1, 21), bleibt dieses Wissen
unwirklich: Ein nur gedachter und erdachter Gott ist kein Gott. Wenn er sich
nicht zeigt, dann reichen wir doch nicht bis zu ihm hin. Das Neue der
christlichen Verkündigung ist, dass sie nun allen Völkern sagen darf: Er hat
sich gezeigt. Er selbst. Und nun ist der Weg zu ihm offen. Die Neuheit der
christlichen Verkündigung besteht in einem Faktum: Er hat sich gezeigt. Aber
dies ist kein blindes Faktum, sondern ein Faktum, das selbst Logos – Gegenwart
der ewigen Vernunft in unserem Fleisch ist. Verbum caro factum est (Joh 1, 14).
Gerade so ist im Faktum nun Logos, ist Logos unter uns. Das Faktum ist
vernünftig. Freilich bedarf es immer der Demut der Vernunft, um es annehmen zu
können; der Demut des Menschen, die der Demut Gottes antwortet.
Unsere heutige Situation ist
von derjenigen in vieler Hinsicht verschieden, die Paulus in Athen vorfand,
aber durch die Verschiedenheit hindurch ihr doch auch in vielem sehr verwandt.
Unsere Städte sind nicht mehr mit Altären und mit Bildern vielfältiger
Gottheiten angefüllt. Gott ist wirklich für viele der große Unbekannte geworden.
Aber wie damals hinter den vielen Götterbildern die Frage nach dem unbekannten
Gott verborgen und gegenwärtig war, so ist auch die gegenwärtige Abwesenheit
Gottes im stillen von der Frage nach ihm bedrängt. Quaerere Deum – Gott suchen
und sich von ihm finden lassen, das ist heute nicht weniger notwendig denn in
vergangenen Zeiten. Eine bloß positivistische Kultur, die die Frage nach Gott
als unwissenschaftlich ins Subjektive abdrängen würde, wäre die Kapitulation
der Vernunft, der Verzicht auf ihre höchsten Möglichkeiten und damit ein
Absturz der Humanität, dessen Folgen nur schwerwiegend sein könnten. Das, was
die Kultur Europas gegründet hat, die Suche nach Gott und die Bereitschaft, ihm
zuzuhören, bleibt auch heute Grundlage wahrer Kultur. Vielen Dank.